Fachkommentar zu Fall des Monats 11/2019 KH-CIRS-Netz Deutschland Drucken
08.11.2019
Krankenhaus-CIRS-Netz Deutschland: Fall des Monats „November 2019“: „Verwechslungsgefahr von Oxytocin und Dexamethason“

Fachkommentar des Fachbeirats CIRSmedical.de (BDA/DGAI)

Download Fachkommentar Fall-Nr. 202827 (PDF)

Autor: Dr. med. Simon Rieß in Vertretung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten (BDA) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin (DGAI)

Medikamentenverwechslungen stellen eine der Hauptgefährdungsquellen im Bereich der Anästhesie dar. Ursächlich können ähnlich klingende Namen (“sound-alike”) oder ähnlich aussehende Ampullen/Spritzen (“look-alike”) sein. Diese Fehlerquellen machen ca. 15-20% der gemeldeten Medikamentenfehler aus und dürften somit den größten Anteil an fehlergenerierenden Bedingungen ausmachen.

Dieser Fall kommt aus dem Bereich des “look-alike”. Durch Einführung der DIN-normierten farbigen Medikamentenaufkleber sollten diese reduziert werden. Und falls Ampullen der gleichen Farbe verwechselt werden, sollten sie “wenigstens” aus der gleichen Medikamentengruppe kommen. Dies ist aber im vorliegenden Fall leider nicht der Fall. Die Aufkleber ähneln sich sehr im Aussehen, kommen aber aus zwei vollkommen unterschiedlichen Medikamentengruppen. Vor allem das zu frühe Spritzen des Oxytocins kann zu schwerwiegenden Problemen bei einem Kaiserschnitt führen und das Neugeborene gefährden. Dagegen führt das Dexamethason zu keiner unmittelbaren Gefährdung des Kindes, egal wann es im Laufe einer Sectio gegeben wurde.

Wenn nun bei einem Eingriff beide Medikamente als Standard gegeben werden, sollte man Vermeidungsstrategien entwickeln und anwenden, um eine Verwechslung zu vermeiden.

Diese könnten wie folgt aussehen:
  • Zusätzliche (gut-sichtbare) Kennzeichnung einer der Spritzen, zum Beispiel mittels eines wasserfesten Stiftes. Man könnte auch Verschlusskonen mit unterschiedlicher Farbe verwenden (z. B. Oxytocin – rot, Dexamethason – blau). Für die einzelnen Medikamente unterschiedliche (und in einem Standard festgelegte) Spritzengrößen verwenden.
  • Die Spritzen entweder in der Reihe der Gabe anordnen oder komplett getrennt (z. B. in unterschiedlichen Schalen) auf dem Anästhesietisch ablegen.
  • Eines der Medikamente erst dann aus der Schublade holen und aufziehen, wenn man es auch unmittelbar injizieren möchte.
All diese Strategien entbinden natürlich nicht von den allgemeinen Maßnahmen, die man beim Vorbereiten oder bei der Gabe von Medikamenten anwenden soll:
  • Aufmerksames Lesen der Beschriftung von Ampullen oder Spritzen.
  • Aufkleber sollten am besten von einer zweiten Person oder einem Barcode-Lesegerät überprüft werden, bevor das Medikament verabreicht wird (Cross-Check, 4-Augen-Prinzip).
  • Jede Spritze muss beschriftet werden, sonst wird sie verworfen (Beschriftungspflicht).
  • Beschriftung mittels normierten Aufklebern.
  • Bei der Anordnung immer neben dem Wirkstoffnamen auch die Wirkstoffmenge und Darreichungsform nennen.
  • Kurz vor der Injektion soll die ausführende Person (z. B. Pflegekraft) die Anordnung noch einmal wiederholen und der Anordnende bestätigt dies.
  • Schubladen und Arbeitsflächen sollen an allen Arbeitsplätzen einer Organisation reproduzierbar und identisch gestaltet sein (Minimierung des Risikos eines Griffs zum falschen Medikament).
  • Medikamente, die nicht zum Routineeinsatz gehören und potentiell schwerwiegende Komplikationen hervorrufen können (z. B. Antiarrhythmika, PDE-Hemmer etc.), sollten separat aufbewahrt werden, um einem versehentlichen "Aufgezogen werden" vorzubeugen.
Da man den menschlichen Faktor beim Entstehen von Medikamentenverwechslungen zum Beispiel durch Ablenkung oder eine anderweitig herabgesetzte Aufmerksamkeit nie gänzlich unterbinden kann, ist es umso wichtiger, systemische Abläufe zur Minimierung einzuführen.

Literatur:
  1. Brinkrolf P, Prien T, van Aken H. Medikationsfehler. Eine systematische Analyse der Berichte im CIRS-AINS = Medication errors - A systematic analysis of CIRS-AINS report. Anesth Intensivmed 2013; 54:126–32. www.cirs-ains.de/files/Publikation-Medikationsfehler-2013.pdf.
  2. Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Empfehlung zur Kennzeichnung von Spritzen in der Intensiv- und Notfallmedizin 2012 - erste Überarbeitung des „DIVI-Standards“. Empfehlung Spritzenaufkleber 2012 - Version 2.7.2012. 2012 [cited: 2019-11-29]. www.divi.de/empfehlungen/qualitaetssicherung-intensivmedizin/spritzenetiketten.
  3. Filik R, Purdy K, Gale A, et al. Labeling of medicines and patient safety: Evaluating methods of reducing drug name confusion. Hum Factors 2006; 48(1):39–47. www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/16696255.
  4. Fasting S, Gisvold SE. Adverse drug errors in anesthesia, and the impact of coloured syringe labels. Can J Anaesth 2000; 47(11):1060–7. DOI: 10.1007/BF03027956. www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/11097534.
  5. Valentin A, Capuzzo M, Guidet B, et al. Errors in administration of parenteral drugs in intensive care units: Multinational prospective study. BMJ 2009; 338:b814. www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19282436.
  6. Webster CS, Merry AF, Larsson L, et al. The frequency and nature of drug administration error during anaesthesia. Anaesth Intensive Care 2001; 29(5):494–500. DOI: 10.1177/0310057X0102900508. www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/11669430.

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