Fachkommentar zu Fall des Monats 03/2020 KH-CIRS-Netz Deutschland Drucken
04.03.2020
Krankenhaus-CIRS-Netz Deutschland: Fall des Monats „März 2020“: „Nichteinhaltung des Medizinproduktegesetzes“

Fachkommentar des Fachbeirats CIRSmedical.de (BDA/DGAI)

Download Fachkommentar Fall-Nr. 207719 (PDF)

Autor: Prof. Dr. med. habil. Matthias Hübler in Vertretung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten (BDA) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin (DGAI)

  • Geräteeinweisung
Der Melder merkt zu Recht an, dass ein einweisungspflichtiges Medizinprodukt nur verwendet werden darf, wenn die entsprechende Einweisung auch durchgeführt wurde. Ich zitiere hierzu die Stellungnahme des Juristen aus dem Fall-des-Monats Oktober 2018 [1], bei dem es um eine Trachealkanüle ging:

"Trachealkanülen sind Medizinprodukte im Sinne des Medizinproduktgesetzes und der Medizinproduktebertreiberverordnung. Nach § 4 Abs. 2 Medizinproduktebetreiberverordnung dürfen nur solche Personen Medizinprodukte anwenden, die die dafür erforderliche Ausbildung oder Kenntnis und Erfahrung besitzen. Die Personen müssen zudem in die sichere Anwendung des Medizinproduktes eingewiesen werden (§ 4 Abs. 3 Medizinproduktebetreiberverordnung). […] Unabhängig von der Verpflichtung des Betreibers, entsprechende Einweisungen sicherzustellen, muss sich jeder Anwender eigenständig darum kümmern, dass er in die von ihm verwendeten Medizinprodukte eingewiesen ist bzw. prüfen, inwieweit Medizinprodukte zum Einsatz kommen, bei denen er die entsprechenden Kenntnisse nicht hat. Hier handelt es sich um eine "Holschuld" des Anwenders. […] Die Vorschriften der Medizinproduktebertreiberverordnung gelten als Schutzgesetze im Sinn des § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

Verstöße gegen die Regelungen der Medizinproduktebetreiberverordnung führen, wenn dadurch ein Patient zu Schaden kommt, über § 823 Abs. 2 BGB zur Haftung auf Schadensersatz. Unabhängig davon kann ein durch die fehlerhafte Anwendung des Medizinproduktes verursachter Gesundheitsschaden für die Beteiligten zur strafrechtlichen Verantwortung wegen fahrlässiger Körperverletzung / Tötung führen."

Auch, wenn der Melder die fehlende Einweisung der Mitarbeiter in der Notaufnahme beklagt, denken wir, dass dies vielleicht eine falsche Annahme ist. Unsere Begründung ist folgende: Wir verwenden zwar täglich zahlreiche Medizinprodukte, aber nicht jedes Medizinprodukt verwenden wir täglich. Jeder Anwender von Medizinprodukten weiß, dass eine Einweisung wichtig ist, aber nicht gleichgesetzt werden darf mit der Beherrschung des Gerätes. Letzteres erfordert entweder regelmäßige Anwendung oder regelmäßiges Training.

Dass der hier gemeldete Fall keinen Seltenheitswert hat, zeigte eine Analyse der CIRS-AINS Datenbank, die als CIRS-AINS Spezial veröffentlich wurde [2]. Ein Resümee der Arbeit war, das tatsächliche Gerätefehler selten sind und Probleme meist durch unzureichende Geräteeinweisungen und fehlerhafte Bedienungen verursacht werden.

Die fehlende Beherrschbarkeit von Medizinprodukten ist insbesondere dann von großer Bedeutung, wenn sie in zeitkritischen Situationen angewendet werden müssen. Beispiele für solche Medizinprodukte wären Defibrillatoren (incl. Schrittmacherfunktion, Kardioversion, etc.), passagere externe Herzschrittmacher, Beatmungsgeräte, Absauggeräte oder Endoskope. Die Aufzählung ist natürlich nicht vollständig, sondern jeder Anwender ist verpflichtet ("Holschuld"), in seinem Arbeitsumfeld die entsprechenden Geräte zu identifizieren und Defizite in der Beherrschung zu beseitigen.

Die Organisationsverantwortlichen sollten mit ihren Mitarbeitern entsprechende Schulungen durchführen. Schwerpunkt sollten selten verwendete, aber im Notfall wichtige Medizinprodukte sein. Ideal wäre ein Schulungsabstand von 3 Monaten, um einen nachhaltigen Effekt zu erreichen.

  • Übergabe
Übergabesituationen bergen stets ein gewisses Risiko. Neben einem möglichen Informationsverlust (Gegenmittel: strukturierte Übergaben [3, 4]) muss verhindert werden, dass bei instabilen Patienten eine Überwachungslücke durch Wechsel des Monitorings stattfindet. In dem Fall war es nicht nur die Überwachung, sondern auch das externe Pacing, das "übergeben" werden musste.

Wir sind der Meinung, dass es sich bei dem Vorgehen der Ärztin in der Notaufnahme um ein individuelles Fehlverhalten handelte. Insofern lassen sich hier keine grundsätzlichen Empfehlungen ableiten. Andererseits ist es auch etwas verwunderlich, dass der Notarzt die Probleme antizipierte und trotzdem den Rettungsdienst-Pacer entfernte.
  1. CIRSmedical Anästhesiologie. Besonderheiten einer Trachealkanüle machen im Rahmen einer Bronchoskopie einen notfallmäßigen Trachealkanülenwechsel notwendig. Fall des Monats, Oktober 2018 [cited: 2020-02-27]. www.cirs-ains.de/files/fall-des-monats/FdMOktober2018.pdf.
  2. Heinrichs W, Schleppers A, Rhaiem T. CIRS-AINS Spezial: Anwendungsprobleme bei medizintechnischen Geräten, unzureichende Geräteeinweisung, fehlerhafte Bedienung: ein Risiko für die Patientensicherheit. Anästh Intensivmed 2019;60:V56–V61. www.cirs-ains.de/files/spezial/CIRS-AINS-Spezial-Anwendungsprobleme.pdf.
  3. Strukturierte Patientenübergabe in der perioperativen Phase – Das SBAR-Konzept*. Anästh Intensivmed 2016;57:88-90. www.bda.de/files/Februar_2016_-_Strukturierte_Patientenbergabe_in_der_perioperativen_Phase_-_Das_SBAR-Konzept.pdf
  4. Schacher S, Glien P, Kogej M, et al. Strukturierte Übergabeprozesse in der Notaufnahme - Luxus oder Notwendigkeit. Notfall Rettungsmedizin 2019;22(1):3-8. https://doi.org/10.1007/s10049-018-0478-8.

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