Fachkommentar zu Fall Nr. 234624 KH-CIRS-Netz Deutschland Drucken
02.11.2022
KH-CIRS-Netz Deutschland: Fall Nr. 234624: „Fehlendes Ergebnis der Kreuzblutprobe“

Fachkommentar des Fachbeirats CIRSmedical.de (BDA/DGAI)

Download Fachkommentar Fall-Nr. 234624 (PDF)

Autor: Interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft für klinische Hämotherapie (IAKH) in Vertretung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten (BDA) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin (DGAI)

Problemanalyse

Dieser Fall der erschwerten Anwendung des Arzneimittels Blut belegt die besondere Stellung der Blutprodukte unter den Arzneimitteln. Die Versorgung mit verträglichen Blutkonserven erfordert spezielle individuelle Verträglichkeitsproben, da vor der Versorgung ausgeschlossen werden muss, dass die zu therapierenden Patienten keine Produkte bekommen, gegen die sie lebensgefährliche Unverträglichkeitsreaktionen entwickeln. In einem hohen Prozentsatz können aber vorher durch Bluttests vor der Therapie Antikörper nachgewiesen werden [1] und es können Blutkonserven ausgesucht werden, die das Antigen nicht enthalten. Liegen mehrere und seltene Antikörper vor, muss in der aktuellen Datenbank aller verfügbaren Konserven eines Blutspendedienstes und dessen Netzwerkes Konserven ausgesucht werden, die keines der Antigene aufweist. Diese Suche kann aber manchmal Tage bis Wochen dauern. Dann kann der Patient solange nicht mit Blutkonserven versorgt werden und eine zwingende Notwendigkeit der Transfusion muss in dieser Wartezeit vermieden werden. Der Schilderung ist leider nicht zu entnehmen, wie hoch das Risiko eines nennenswerten Blutverlustes und auch wie hoch die Dringlichkeit des durchgeführten Eingriffs war. Generell wirft der gemeldete Fall in diesem Zusammenhang folgende Fragen auf:
  • Ist der/die Narkose einleitende Anästhesist/in leichtfertig das Risiko eingegangen, im Falle einer Blutung keine verträglichen Konserven bereit zu haben? Gibt es eine vorgeschriebene Standardanweisung für die Checks vor einer Einleitung in der Anästhesieabteilung? Ist die Bedeutung einer akuten hämolytischen Transfusionsreaktion als Reaktion auf einen beim Patienten vorhandenen Blutgruppen-Antikörper bewusst?
  • Hat der für die Blutbereitstellung verantwortliche (gemäß [2]) Chirurg ein ursächliches Versäumnis begangen, indem er die Blutprobenentnahme auf der aufnehmenden Station nicht strikt und umfassend geregelt hat? Existieren Vorbereitungsstandards für die Routinevorbereitung von chirurgischen Patienten? Ist der Zeitbedarf für die eventuell kompliziertere Blutbeschaffung bei vorhandenen Antikörpern bekannt? Sollten die Prozesse und Berufsinhalte der Laboranalytik den Anwendern von Blutprodukten (also auch den Anästhesisten und Intensivmedizinern) nicht mit einem Rotationsprogramm bekannt gemacht werden?
  • Warum ist die Blutprobe nicht rechtzeitig zur Antikörpersuche und Blutgruppenbestimmung im Labor angekommen? Waren Fehlorganisation, Personalmangel, unklare Delegation, mangelnde OP-Planung oder andere vermeidbare Umstände im Spiel (zumindest so aus der Meldung herauszulesen)? Hier nützt eine M&M-Konferenz zur Ursachenanalyse, aus der sich dann die tatsächlich zu ändernden Maßnahmen ergeben müssten.
  • Warum ist der Patient eingeschleust worden, obwohl keine Konserven bereit waren? Gibt es eine WHO-Sicherheits-Checkliste [3] oder eine beschriebene Vorgehensweise im OP-Management in dieser Einrichtung, die solch ein Versäumnis verhindern könnte? Ein Beispiel wäre auch eine Checkliste für die chirurgischen Stationen, die die Vollständigkeit der Einverständniserklärungen, der Befunde und Hilfsmittel (z.B. Blutkonserven, Spezialverbände und Orthesen) überprüft, damit die OP nicht wegen solch fehlender Voraussetzungen abgesagt werden muss.
  • Stimmt die Kommunikation zwischen OP-Abteilung, chirurgischer Station, Labor, Blutbank und Anästhesie? Gibt es ein abteilungsübergreifendes Interesse an einer reibungslosen Zusammenarbeit, an Teamatmosphäre und gutem Arbeitsklima, an guter medizinischer Qualität und hoher Patientensicherheit? Ist die Regelkommunikation an perioperativen Schnittstellen im Sinne eines SBAR-Konzeptes der DGAI [4] geregelt? Hat die Geschäftsführung der Einrichtung und der ärztliche Direktor den ökonomischen Wert dieser Prozessfaktoren erkannt und wurden sie in die Prioritätenliste der Krankenhausleitung aufgenommen?
  • Stimmt die Wahrnehmung der Bedeutung der Therapie mit Blutprodukten und Plasmapräparationen in dieser Einrichtung? Ist die Richtlinie Hämotherapie [5] als untergesetzliche bindende Handlungsempfehlung bekannt? Ist der Transfusionsverantwortliche aktiv genug? Hat er den Rahmen und die Arbeitsbedingungen, die Motivation und ausreichende Möglichkeiten zur Schaffung der Achtsamkeit der anderen Krankenhausbediensteten im Umgang mit der wertvollen Ressource Blut durch z.B. Regelfortbildungen, Hämotherapie und Transfusionskommissionssitzungen ausreichend vermittelt?
  • Gibt es Konzepte der Versorgung mit Universalblut (low titer Null negativ)? Steht für eine eventuell notwendige Notfallversorgung vielleicht eine extrem bevorzugte Versorgungslage durch einen großen Blutspendedienst im Hintergrund, weshalb die Notwendigkeit für eine sorgfältige Vorbereitung als verhältnismäßig gering erscheint? Die schwerwiegenden vitalen, juristischen und psychische Traumatisierung der Beteiligten [6] bei einem Fall des Verblutens oder der schweren Transfusionsreaktion sollten aus berufener Hand fortgebildet werden.
Prozessqualität:
  1. Fortbildung – alle Mitarbeiter: Bedeutung der Blutgruppen und der Antikörper gegen Blutgruppenantigene
  2. SOP/VA und Fortbildung – alle Mitarbeiter: Vorbereitung der chirurgischen oder interventionellen Patienten vor denEingriffen
  3. SOP/VA – Stationspflege Chirurgie: Präoperative Checkliste für die OP-Vorbereitung
  4. SOP/VA – Mitarbeiter der perioperativen Bereiche Ambulanz, OP, Intensiv, Station, Eingriffsräume: Das SBAR-Konzept für die Regelung der Kommunikation der Patientenübergabe in den perioperativen Schnittstellen
  5. SOP/VA und Fortbildung – Ärzte: Mein Eigeninteresse: Juristische und psychologische Folgen des transfusionsmedizinischen Zwischenfalls für den verantwortlichen Arzt
  6. SOP/VA – OP- und Schleusenpersonal: Abarbeitung der WHO-Checkliste
  7. M&M-Konferenz zum Fall
  8. Meldung an die Transfusionskommission
Strukturqualität:
  1. Ärztlicher Direktor (ÄD) und Pflegedienstleitung: Überprüfung des Prozesses der Blutprobentransporte von Station ins Labor
  2. IT und Laborleitung: Einführung einer digitalisierten Bestätigung und transparenten Kommunikation der Laborprobenanalytik: Ausgabe und elektronische Anzeige von Auftrag, Abholung, Ankunft und Bearbeitungsstand bis hin zum Resultat im elektronischen Gesundheitssystem des Krankenhauses
  3. Geschäftsführung und ÄD: Teambildende Trainingsmaßnahmen und Coaching im Bereich OP
  4. ÄD und Transfusionsverantwortlicher (TV): Rotationskonzepte für Kliniker ins immunhämatologische Labor
  5. TV: Einrichtung einer Regelfortbildungsreihe für Transfusionsmedizinische und hämotherapeutische Inhalte
  6. ÄD: Etablierung eines Programmes gemäß den Empfehlungen der DGAI zur Verhinderung von Langzeitschäden der beruflichen Belastungen [6]
Literatur:

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