Fachkommentar zu Fall des Monats 5/2025-2 KH-CIRS-Netz Deutschland Drucken
16.05.2025

Krankenhaus-CIRS-Netz Deutschland: Fall des Monats „Mai 2025-2": „Vorgehensweise und Organisation im Rahmen der Transfusion“

Fachkommentar des Fachbeirats CIRSmedical.de (BDA/DGAI)

Download Fachkommentar Fall-Nr. 275523 (PDF)


Autor: Interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft für klinische Hämotherapie (IAKH) in Vertretung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten (BDA) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin (DGAI)

Problemanalyse

Es handelt sich hier um die Meldung eines Beinahe-Zwischenfalls oder eines Zwischenfalls (wie man es sehen will). Die Beinahe-Zwischenfälle können besser als echte Zwischenfälle aufgearbeitet werden und enthalten das meiste Lernpotenzial (siehe SHOT Report 2022 [1]). Diesbezüglich sollte hier unbedingt eine einrichtungsinterne Aufarbeitung als M&M-Konferenz oder als Besprechung der Transfusionskommission erfolgen.

Die selbständige Entnahme aus dem Blutdepot durch den diensthabenden Arzt ist in vielen kleinen Häusern üblich. Nicht überall im Dienst kann das 4-Augenprinzip zur korrekten Zuordnung bei der Ausgabe umgesetzt werden (oftmals kein Depot (Labor)Personal), nicht überall sind Scanner zum Auslösen der Konserven aus dem Depot etabliertes Prozedere (seltener, aber in kleineren Häusern durchaus noch häufiger). Ob dieser Vorfall in der normalen Arbeitszeit oder im Bereitschaftsdienst aufgetreten ist, kann nicht mit Sicherheit aus der Schilderung geschlossen werden. Es hört sich eher nach Nachtdienst oder einer Situation mit noch mehr Personalmangel und Stress als sonst üblich an. Die Scannertechnik fügt gerade in solchen, aber auch in anderen Routinesituationen ein gesteigertes Sicherheitsniveau zur korrekten Zuordnung von Konserven zum Empfänger und ist in Anbetracht der erheblichen Folgen und Kosten eines tödlichen Verwechslungsfalls eine ratsame Investition [2]. Solange diese Investition nicht getätigt und die Scannerlösung umgesetzt ist, ist die 4-Augen-Kontrolle unerlässlich.

Die Behandlung zweier Patienten mit ähnlichem und gleichen Namen erfordert besondere Maßnahmen (siehe auch ausführlich Fall des Monats CIRS-AINS 2023 [3]; Patientenarmbänder, Software-Alerts, getrennte Zimmer, etc.) [4]. Dazu gehören auch das Bewusstsein für die Gefahr mit unter Umständen tödlichen Konsequenzen und die räumlich und gekennzeichnete, getrennte Lagerung der 2 Konserven einschließlich einer auffälligen Markierung des Vornamens. Im
geschilderten Fall hätte diese einfache, aber effiziente Kombinationsmethode schon ausgereicht. Natürlich haben auch noch im Verabreichungsprozess spätere Maßnahmen zur Überprüfung der korrekten Konservenzuordnung in diesem Fall offensichtlich gegriffen, die Verwechslung der Blutkonserve wurde bemerkt und kein Patientenschaden hat sich ereignet.

Jedoch musste eine Konserve verworfen werden. Für diese Konserve hat ein Spender Risiken und Zeit investiert. Die freiwillige Basis der Blutspende erhöht die Sicherheit unserer Blutprodukte erheblich [5] und sollte nicht dadurch gefährdet werden, dass solche Fälle zum Usus werden. Daraus erwächst eine ethische Verpflichtung zum sorgsamen Umgang und auch Vorkehrungen, dass das gespendete Blutprodukt dem Empfänger gegeben wird und seine lebensrettende Wirkung hat. Dies hat in diesem Fall aus vermeidbaren Gründen nicht funktioniert. Das kann und sollte in Zukunft vermieden werden. Diese ethische Verpflichtung sollte ins Bewusstsein gerufen werden.

Wenn eine Konserve unbemerkt ca. 1h vor Transfusion auf Station liegen kann, ist die Transfusionsindikation zu hinterfragen, wenn es sich nicht um eine chronische Transfusionstherapie handelt. Alle akuten Indikationen sollten aufgrund
der Gefährdung durch Sauerstoffarmut mehr oder weniger dringlich sein [6]. Die Anforderung der Blutprodukte selbst sollte über eine Ausgabesoftware des KIS die Indikationsstellung und deren Dringlichkeit erfassen. Bei Unstimmigkeiten könnte ein sog. „Clinical Decision Support System” an die Leitlinienkonformität der Indikation erinnern und eine Bestätigung der Ausnahme anfordern. Damit ist es in anderen Häusern gelungen, die Indikationsstellung richtliniengetreuer zu machen [7].

Die Nichtverfügbarkeit eines transfundierenden Arztes ist nur im Ausnahmefall zu tolerieren, es sollten im Bereitschaftsdienst genügend Ärzte eingeplant und/oder ein Rufdienst für Überlastungsphasen eingerichtet sein. Wenn ein Blutprodukt über eine Viertelstunde auf Station liegt und kein Arzt verfügbar ist, wäre eine solche Mangelsituation, in der die Stationspflege angewiesen werden sollte, den Hintergrund/Rufdienst anzurufen.

Prozessqualität
 

  1. VA/SOP – alle Mitarbeiter/Depot/Labor: Vier-Augenprinzip bei der Ausgabe von chargenpflichtigen Blutprodukten und vor Transfusion, Handhabung im Bereitschaftsdienst
  2. Fortbildung und SOP/VA – alle Mitarbeiter: Vermeidung von Verwechslungen bei gleichem/gleichlautendem Namen/fremdartigen Namen/Identifikationsschwierigkeiten bei zum Beispiel Sprachbarrieren, Bewusstseinstrübungen und sonstigen Störungen der Kommunikation oder des Informationsabgleichs
  3. Fortbildung – Ärzte, Labor und Pflege: Blutspende und Blutproduktesicherheit - was haben wir Anwender in der Klinik damit zu tun?
  4. M&M-Konferenz
  5. Meldung an die Transfusionskommission


Strukturqualität
 

  1. GF, IT, TV, QM, Labor/Depot: Einführung von Barcodescannern konsekutiv in den Bereichen Depot/Labor/Schockraum/Intensiv/OP/IMC/peripheren Stationen
  2. TV, Depotleitung, QBH: Einführung des Clinical Decision Support Systems: Software-gestützte Blutprodukteanforderung und Leitlinien-konforme Therapie
  3. GF, ÄD, TV, QBH: Überprüfung der Personalstärke und Dienstbelastung, ggf. Einrichtung eines zusätzlichen Hintergrunddienstes


Literatur
 

  • [1] Narayan S (Ed), Poles D et al. on behalf of the Serious Hazards of Transfusion (SHOT) Steering Group. The 2022 Annual SHOT Report (2022) https://doi.org/10.57911/WZ85-3885. https://www.shotuk.org/shot-reports/report-summary-and-supplement-2022/
  • [2] Spain D, Crilly J, Pierce J, Steele M, Scuffham P, Keijzers G. Can a barcode scanner for blood collection improve patient identification integrity in the emergency department? A prospective before-and-after study. Emerg Med Australas. 2015;27(1):47-54. doi:10.1111/1742-6723.12334
  • [3] CIRS ains - Fall des Monats Quartal 3/2023: https://www.cirs-ains.de/files/fall-des-monats/FdMQuartal3-2023.pdf
  • [4] Lee AC, Leung M, So KT. Managing patients with identical names in the same ward.Int J Health Care Qual Assur Inc Leadersh Health Serv. 2005;18(1):15-23. doi:10.1108/09526860510576938
  • [5] Tissot JD, Garraud O, Danic B, Cabaud JJ, Lefrère JJ. Éthique et transfusion sanguine [Ethics and blood transfusion].Transfus Clin Biol. 2013;20(4):423-439. doi:10.1016/j.tracli.2013.06.003
  • [6] Müller MM, Geisen C, Zacharowski K, Tonn T, Seifried E. Transfusion of Packed Red Cells: Indications, Triggers and Adverse Events.Dtsch Arztebl Int. 2015;112(29-30):507-518. doi:10.3238/arztebl.2015.0507
  • [7] Jenkins I, Doucet JJ, Clay B, et al. Transfusing Wisely: Clinical Decision Support Improves Blood Transfusion Practices.Jt Comm J Qual Patient Saf. 2017;43(8):389-395. doi:10.1016/j.jcjq.2017.04.003


Häufig verwendete Abkürzungen:

ÄD - Ärztliche/r Direktor/in, EK - Erythrozytenkonzentrat, GF - Geschäftsführer/in, IMC - Intermediate Care, IT - Informationstechnik/er, KIS - Krankenhausinformationssystem, M&M - Konferenz zu Morbidität und Mortalität, OP - Operationssaal, QM – Qualitätsmanagement, QBH - Qualitätsbeauftragter Hämotherapie, SOP - Standard Operating Procedure, TV - Transfusionsverantwortliche/r, VA - Verfahrensanweisung
 

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