Fall des Monats März 2014 Drucken
22.04.2014

CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen

Unzureichende Schmerztherapie und frühzeitige Verlegung aus dem Aufwachraum


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Der Fall:
(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Unzureichende Schmerztherapie und frühzeitige Verlegung aus dem Aufwachraum
 
Zuständiges Fachgebiet:
Chirurgie
 
Wo ist das Ereignis eingetreten?
Krankenhaus – AWR

Tag des berichteten Ereignisses:
Wochentag

Versorgungsart:
Routinebetrieb

ASA-Klassifizierung:
ASA I

Wichtige Begleitumstände:
Transport von Anästhesie

Fallbeschreibung:
Ein Patient wurde am Arm operiert, er hatte vorher schon starke Schmerzen.
Der Patient wurde postoperativ von der Anästhesieabteilung auf die Station gebracht.
Auf Station gab der Patient einen Schmerzwert von 5-6 an und sah auch schmerzgeplagt aus.
Im AWR hatte der Patient „nur“ 15mg Dipidolor und 1g Perfalgan erhalten.
Der Patient erhielt weitere Analgetika ohne Erfolg. Die Patienten sollten erst aus dem AWR verlegt werden, wenn sie nahezu schmerzfrei sind. In der Übergabe wurde sinngemäß gesagt: Ich kann dem Patient nicht mehr Dipidolor spritzen, sonst habt ihr ja keine Möglichkeiten mehr.

Was war besonders ungünstig?
- Keine Schmerzfreiheit
- Unklare Anordnung von Anästhesie
- Unzureichende Analgesie
- Verlegung erfolgte bereits 20 min. postoperativ

 

Eigener Ratschlag (Take-Home-Message)?
Patient erst verlegen wenn Schmerzwert kleiner/gleich 3
 
Häufigkeit des Ereignisses?
fast täglich

Wer berichtet?
Pflegekraft

Berufserfahrung:
über 5 Jahre

Die Analyse aus Sicht des Anästhesisten
Ein Patient nach einer Operation an den Extremitäten wird bereits nach ca. 20 Minuten aus dem Aufwachraum auf Normalstation verlegt, obwohl er noch über starke Schmerzen klagt.
 
Je nach Patientenaufkommen, besonders nachmittags, kann es immer wieder vorkommen, dass Patienten zu früh aus dem Aufwachraum verlegt werden, um freie Kapazitäten im Aufwachraum zu schaffen. Auch wenn dies leider eine häufig zu beobachtende Praxis darstellt, so ist die potentielle Patientengefährdung eines derartigen Handelns nicht zu vernachlässigen. Nicht nur, dass das Aufwachraumpersonal seinen Pflichten gegenüber dem Patienten nicht ausreichend nachkommt, nämlich unter kontrollierten Bedingungen und kontinuierlicher Überwachung der Vitalparameter die Schmerzen zu nehmen, sondern dass hierbei auch die derzeitigen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin "Überwachung nach Anästhesieverfahren" missachtet werden[1].

Dort wird ausgeführt, dass "die Erholungsphase nach einer Anästhesie abgeschlossen (ist), sobald keine Komplikationen von Seiten der vitalen Funktionen mehr zu erwarten sind." Eine ausdrückliche Erwähnung eines minimalen Schmerzscores findet jedoch nicht statt, da die Handhabung der perioperativen Schmerztherapie stark von den vor Ort gegebenen Möglichkeiten, Ausbildungen und personellen Ressourcen der nachgeordneten Strukturen abhängig ist.
 
Allerdings ist anzumerken, dass ein hoher Schmerzmittelbedarf innerhalb kurzer Zeit (hier 15 mg Piritramid in 20 Minuten) eine Beeinträchtigung der Vitalfunktionen, speziell des Atemantriebs, erwarten lassen kann. Da aufgrund der starken Schmerzen vermutlich auch auf Normalstation mit Opiaten weiter therapiert werden musste, stellt sich auch hier die Frage der ausreichenden Überwachung der Vitalparameter.
 
Deshalb ist es in vielen Kliniken übliche Praxis, Patienten frühestens 30 Minuten nach der letzten Opiatapplikation aus dem Aufwachraum zu entlassen und eine Therapieempfehlung zur weiteren postoperativen Schmerztherapie auszusprechen.

Die Analyse aus Sicht des Juristen
1955 hat der BGH festgestellt, dass der Arzt verpflichtet ist „dem Kranken im Rahmen des Möglichen Linderung seiner Schmerzen zu verschaffen“ [2]. Nach § 630a Abs. 2 BGB hat die Patientenbehandlung nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen, soweit nichts anderes vereinbart ist. Dies bedeutet, dass der Patient Anspruch auf Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen mit den dazu erforderlichen, indizierten und im konkreten Fall möglichen Maßnahmen hat – unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten („informed consent“, mutmaßliche Einwilligung, Einwilligung des Vorsorgebevollmächtigten/Betreuers) [3]. Die Unterlassung einer indizierten Schmerztherapie kann einen Behandlungsfehler darstellen mit den entsprechenden zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen.
 
Deshalb ist sicherzustellen, dass den Patienten auch postoperativ die nach den Standards der Fachgebiete gebotene und im Einzelfall mögliche Schmerztherapie gewährt wird. Nach Ziff. 2 der Vereinbarung zur Organisation der postoperativen Schmerztherapie des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten und des Berufsverbandes Deutscher Chirurgen [4] ist für die postoperative Schmerztherapie auf der chirurgischen Normalstation und auf chirurgisch geleiteten Intensivstationen der Chirurg, in den Aufwachräumen und auf Intensivstationen, die unter anästhesiologischer Leitung stehen, der Anästhesist in Zusammenarbeit mit dem Operateur für die Schmerztherapie zuständig.
 
Nach Ziff. 1.2 der Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin und des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten zur Überwachung nach Anästhesieverfahren [5] ist in der Regel eine weitere anästhesiologische Überwachung in der Aufwacheinheit nicht mehr erforderlich wenn u.a. eine zufriedenstellende Schmerzfreiheit erreicht ist. Solange die Schmerztherapie mit Präparaten erforderlich ist, die eine Beeinträchtigung der Vitalfunktionen, speziell der Atmung, mit sich bringen können, scheidet eine Verlegung aus dem Aufwachraum auf die Normalstation, wenn diese für die Überwachung dieser Patienten nicht entsprechend apparativ und personell ausgestattet ist, aus. Ob und inwieweit alternative Methoden der Schmerztherapie eingesetzt werden können, ist eine Frage des Einzelfalles.
 
Das Unterlassen einer indizierten Schmerztherapie, um z.B. den „Umschlag“ in der Aufwacheinheit bzw. den Ablauf des Operationsbetriebes zu optimieren, so dass in Kauf genommen wird Patienten „unterversorgt“ auf die Normalstationen abzugeben, kann zu zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen führen.

Kann oder soll die Schmerztherapie im Aufwachraum nicht zu Ende oder weitergeführt werden, dann sind die behandelnden Ärzte verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die weitere Versorgung des Patienten auf der Normalstation oder auf der Intensiveinheit gesichert ist. Zwar geht grundsätzlich die Verantwortung für den Patienten mit der Abgabe aus dem Aufwachraum z.B. auf die Normalstation vom Anästhesisten auf die Ärzte der Normalstation und deren Pflegepersonal über, auch dann, wenn Patienten mit einem vom Anästhesisten gelegten System (z.B. Periduralkatheter) übernommen werden. Doch wenn eine im Aufwachraum vom Patienten benötigte, vom Anästhesisten begonnene und noch nicht abgeschlossene Schmerztherapie auf der Normalstation weitergeführt werden soll, müssen sich die beteiligten Fachvertreter darüber verständigen, wie die Weiterbehandlung organisiert werden soll.
 
Speziell für die Schmerztherapie kann auf die Vereinbarung zur Organisation der postoperativen Schmerztherapie [4] und auf die „Formulierungshilfen zur Umsetzung der Organisationsmodelle zur postoperativen Schmerztherapie in den bettenführenden Kliniken/Abteilungen“ [6] hingewiesen werden. Will/kann der Chirurg/Operateur auf den Normalstationen die Schmerztherapie nicht weiter-/durchführen, können Vereinbarungen zwischen den Fachvertretern geschlossen werden, die von der Hinzuziehung des Anästhesisten zu einem Schmerzkonsil bis zur Gewährleistung einer schmerztherapeutischen Versorgung durch den Anästhesisten auch auf Normalstationen („Pain service“) gehen können. Es finden sich dort auch Formulierungsvorschläge für entsprechende Vereinbarungen zwischen den Fachgebieten zur Durchführung der Schmerztherapie.

 

Take-Home-Message

  • Der Patient hat Anspruch auf eine indizierte, im konkreten Fall mögliche Schmerztherapie.
  • Ökonomische Gründe oder die Beschleunigung der Abläufe im OP rechtfertigen nicht den Verzicht auf die gebotene und im Einzelfall mögliche Schmerztherapie.
  • Mit Übergabe des Patienten aus dem Aufwachraum geht die Verantwortung für den Patienten vom Anästhesisten auf die Ärzte der Normalstation und deren Pflegepersonal über.
  • Wenn eine im Aufwachraum begonnene und noch nicht abgeschlossene Schmerztherapie auf der Normalstation fortgesetzt werden muss, haben sich die beteiligten Fachgebiete darüber verständigen, wie und durch wen die weitere Versorgung sichergestellt wird.

Weiterführende Literatur:


Autoren:
Dr. med. P. Frank, Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, Medizinische Hochschule Hannover
Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg

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