Fall des Monats Mai 2014 Drucken
24.06.2014

CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen

Eine Anästhesie bei einer Schwangeren in einem Haus ohne Geburtshilfe wird abgelehnt


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Der Fall:
(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Eine Anästhesie bei einer Schwangeren in einem Haus ohne Geburtshilfe wird abgelehnt
 
Zuständiges Fachgebiet:
Anästhesiologie
 
Wo ist das Ereignis eingetreten?
Krankenhaus – PM-Ambulanz

Tag des berichteten Ereignisses:
Wochentag

Versorgungsart:
Routinebetrieb

ASA-Klassifizierung:
ASA II

Patientenzustand:
Patientin in der 32. SSW

Wichtige Begleitumstände:
keine Gyn./Geburtshilfe im Haus

Fallbeschreibung:
Die Patientin stellt sich zu einem kleinen Eingriff vor, der in Analgosedierung oder Narkose erfolgen soll. Bei Rückfrage innerhalb der eigenen Abteilung kommt es zu unterschiedlichen Meinungen, ob die Patientin im Haus narkotisiert werden kann. Nach Rücksprache mit der Geburtshilfe im benachbarten Haus wird sich gegen eine Analgosedierung bei uns entschieden, da keinerlei Überwachung des Kindes, keine personelle Kompetenz zu Interpretation des CTG und auch keine Interventionsmöglichkeiten bei pathologischem CTG gegeben sind. Die Patientin wird schließlich dort versorgt.

Was war besonders gut?
Es wurde im Sinne: „Safe Anaesthesia for both the mother and the child!“ gehandelt.

 

Eigener Ratschlag (Take-Home-Message)?
Kompetenzen nicht überschreiten
 
Häufigkeit des Ereignisses?
nur dieses Mal

Wer berichtet?
Ärztin/Arzt

Berufserfahrung:
über 5 Jahre


Die Analyse aus Sicht des Anästhesisten
Zunächst einmal sei den Beteiligten zu Ihrer Entscheidung gratuliert! Die Verlegung in ein Haus mit Geburtshilfe war die beste Wahl und sicher im Interesse der Patientin.
 
Geburtseinleitung durch Anästhesie/Operation?
In der Meldung wird indirekt die Befürchtung ausgesprochen, dass es durch die Anästhesie oder die Operation – bzw. allgemeiner formuliert – es durch den perioperativen Stress zu einer Beeinträchtigung des Fetus kommen kann und unter Umständen eine Geburt ausgelöst wird. Das ist eine Befürchtung die von vielen – wahrscheinlich von fast allen Anästhesisten geteilt wird. Aber ist sie begründet?
Ganz allgemein gilt die Regel, dass eine gesunde Schwangerschaft in Ihrem Verlauf durch eine Anästhesie wahrscheinlich nicht beeinflusst wird. Die meisten Medikamente, die wir verwenden, gehen von der Mutter auf den Fetus über und haben dort natürlich auch eine Wirkung. Die sehr informative Webseite http://www.embryotox.de kann zu vielen speziellen Fragen Antworten liefern. Es ist bekannt, dass der Fetus im 1. Trimenon während der Organogenese empfindlich für teratogene Effekte ist. Insbesondere Lachgas erhöht evtl. die Gefahr von Neuralrohrdefekten [1]. Viele tierexperimentelle Arbeiten konnten einen Einfluss von Anästhetika auf die neuronale

Apoptose zeigen. Ein überzeugender Nachweis der Übertragbarkeit der Daten auf den Menschen fehlt aber.
Eine pragmatische, allgemein praktizierte Herangehensweise ist es, erforderliche Operationen wann immer möglich erst in der Spätschwangerschaft oder nach der Geburt durchzuführen. Die Wahl der Anästhetika mit der Ausnahme von Lachgas ist wahrscheinlich zweitrangig. Entscheidend sind nicht die direkten Auswirkungen der Anästhetika auf den Fetus sondern diejenigen auf die uteroplazentare Einheit. Ein fetaler Sauerstoffmangel muss unbedingt vermieden werden.
Die meisten Studien, die sich mit der Frage beschäftigt haben, ob Anästhesie und Chirurgie die Gefahr einer Frühgeburtlichkeit erhöhen, fanden ein leicht erhöhtes Risiko. Die größte systematische Übersichtsarbeit (keine Metanalyse!) hierzu wurde 2005 publiziert [2]. Immerhin 12452 publizierte Fälle erfüllten die Auswahlkriterien. Die wesentlichen Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

·         Das perioperative mütterliche Risiko ist bei einer Schwangeren extrem niedrig.
·         Anästhesie und Chirurgie stellen keinen deutlichen Risikofaktor für einen Abort oder eine Geburtseinleitung dar.
·         Eine Ausnahme von dieser Regel sind Blinddarmentzündungen, insbesondere wenn diese von einer Peritonitis begleitet werden.

Das ist wieder so eine Aussage, bei der man sich als Kliniker fragt: Was mache ich jetzt damit? Anästhesie und Chirurgie stellen keinen „deutlichen“ Risikofaktor für einen Abort oder eine Geburtseinleitung dar. Der Hintergrund für diese vorsichtige Formulierung ist folgender: Es waren fast nur Beobachtungsstudien, die untersucht wurden, und es gab keine Vergleichskollektive (Schwangere ohne Operationen). Eine statistische Auswertung war nur sehr eingeschränkt möglich (deshalb auch keine Metaanalyse). Hier ist wieder Pragmatismus gefragt, denn am Ende ist das Einzelschicksal und keine Statistik entscheidend: Wahrscheinlich haben Anästhesie und Chirurgie keinen oder nur einen geringen Einfluss, aber da wir es nicht genau wissen, verschieben wir die Operation auf später.
 
CTG-Monitoring?
Der Melder erwähnt das fehlende CTG-Monitoring und die fehlende Expertise im Haus. Viele Häuser führen ein intraoperatives CTG-Monitoring durch, wenn die Art der Operation nicht dagegen spricht [3]. Es ist aber unklar, ob ein fetales Monitoring während einer nicht-geburtshilflichen Operation tatsächlich sinnvoll ist. CTG-Veränderungen werden fast regelhaft beobachtet (u.a. wegen der Wirkung der Anästhetika) [4], und deshalb wird wahrscheinlich unbegründet oft die Indikation für einen Kaiserschnitt gestellt.
Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe hat hierzu nicht eindeutig Stellung bezogen. Empfehlenswert ist es aber trotzdem, den Zustand des Feten vor einem geplanten Eingriff durch einen entsprechenden Spezialisten beurteilen zu lassen. Ebenso ist es sinnvoll, die Patientinnen und die Feten nach einem Eingriff durch einen Geburtshelfer untersuchen zu lassen. Hier sollten dann auch CTG-Kontrollen erfolgen. In vielen Häusern ist es zusätzlich üblich, die Schwangeren postoperativ nicht auf Normalstation sondern im Kreißsaal zu überwachen. Diese Empfehlungen entsprechen denjenigen des American College of Obstetrics and Gynaecology. Dieses empfiehlt grundsätzlich die oben erwähnte präoperative Konsultation [5] - Sicherheit geht vor.
 
Wo sollten nicht-geburtshilfe Eingriffe durchgeführt werden?
Nun zu der eigentlichen Frage der Meldung: Soll eine elektive, nicht-geburtshilfliche Operation in einem Haus ohne Geburtshilfe durchgeführt werden? Auch hierzu gibt es (leider) keine Empfehlungen der Fachgesellschaften. Trotz des fraglichen Einflusses von Anästhesie und Chirurgie auf die Frühgeburtlichkeit erscheint es aber sinnvoll, diese Frage mit Nein zu beantworten. Dies ist sicher im Interesse der Patientinnen. Weiter kann auch dort die oben erwähnte präoperative Konsultation eines Geburtshelfers erfolgen.

Anders sieht es bei Notfalleingriffen aus, insbesondere wenn es sich um intraabdominelle Eingriffe handelt. Hier ist gelegentlich eine Verlegung erst nach der Operation möglich – es ist aber empfehlenswert, sie auch bei einem unkomplizierten Verlauf möglichst rasch nach dem Eingriff durchzuführen.
Bei der Verlegung einer Schwangeren zu einem nicht-geburtshilflichen Eingriff ist weiter sinnvoll, die „S1-Leitlinie Verlegung von Früh- und Reifgeborenen in Krankenhäuser der adäquaten Versorgungsstufe“ zu beachten [6]. In dieser Leitlinie sind detaillierte Verlegungskriterien aufgelistet, die in dem gemeldeten Fall natürlich nicht zutrafen – aber es ist gut, sie zu kennen bzw. bei Bedarf nachzulesen.
 
Die oben gemachten Ausführungen beziehen sich insbesondere auf Patientinnen, bei denen die Schwangerschaft ein solches Gestationsalter erreicht hat, dass ein Überleben des Fetus außerhalb der Gebärmutter möglich erscheint. Grundsätzlich gilt aber auch bei Frühschwangerschaften und erforderlicher nicht-geburtshilflicher Operation: Im Zweifelsfall verlegen – im Interesse von Mutter und Kind. 

Die Analyse aus Sicht des Juristen
Dem Fallbericht kann nicht entnommen werden, um welchen „kleinen Eingriff“, der „in Analgosedierung oder Narkose“ durchgeführt werden sollte, es sich handelte. Dies kann im Rahmen der juristischen Bewertung allerdings auch dahingestellt bleiben, denn die Fragen nach der Indikation und den Voraussetzungen, unter welchen ein Eingriff erfolgen darf, sind unter rein fachmedizinischen Aspekten zu beantworten. Dabei stellt sich konkret die Frage, welcher „medizinische Standard“ einzuhalten ist. Dies gilt auch für Aspekte zu gewährleistender personeller Qualifikation und räumlicher sowie apparativer Ausstattung.
Für die Entscheidung über das „ob“ und „wie“ der Durchführung des „kleinen Eingriffs“ ist im Ausgangspunkt das operative Fach zuständig. Dabei ist aber auch das „Anästhesierisiko“ zu veranschlagen. Entsprechende Überlegungen und Hinweise sind dem operativen Fach mitzuteilen. Wird von diesem die Indikation zur Eingriffsdurchführung „vor Ort“ gestellt, ist der Anästhesist – allerdings nur im Rahmen des Vertrauensgrundsatzes – an die Entscheidung des den Eingriff durchführenden Arztes gebunden [7].
Bestehen nach kritischer Prüfung Zweifel, ob die Durchführung des Eingriffs im Hause (ohne geburtshilfliche Fachkompetenz und Ausstattung) vertretbar ist, muss der für die Patientin sicherste Weg eingeschlagen, also eine Verlegung zur Eingriffsdurchführung veranlasst werden. Nach der Rechtsprechung des BGH gilt generell, dass die „Sicherheit des Patienten allen anderen Gesichtspunkten“ voranzugehen hat [8].

 

Take-Home-Message

  • Anästhesie und Chirurgie haben wahrscheinlich nur einen sehr geringen Einfluss auf die Induktion einer Geburt bei einer Schwangeren (Ausnahme Appendizitis mit Peritonitis).
  • Elektive, nicht-geburtshilfliche Eingriffe sollten unter dem Aspekt der größtmöglichen Sicherheit in einem Haus mit Geburtshilfe durchgeführt werden.
  • Präoperativ und postoperativ sind das Hinzuziehen eines Geburtshelfers zur Evaluation von Mutter und Fetus empfehlenswert.
  • Bei der Verlegung einer Schwangeren zu einer nicht-geburtshilflichen Operation sollte die Gestationswoche beachtet werden, um die richtige Geburtshilfe/Kinderklinik mit der entsprechenden Versorgungsstufe zu wählen.
  • Nach der Rechtsprechung des BGH geht die Sicherheit des Patienten allen anderen Erwägungen vor.


Weiterführende Literatur:


Autoren:
Prof. Dr. med. M. Hübler, Universitätsklinik Carl Gustav Carus Dresden
Rechtsanwalt R.-W. Bock, Kanzlei Ulsenheimer - Friederich, Berlin
Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg

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