Fall des Monats August 2014 Drucken
24.09.2014

CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen

Psychiatrischer Patient auf der Intensivstation gefährdet Personal


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Der Fall:
(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Psychiatrischer Patient auf der Intensivstation gefährdet Personal
 
Zuständiges Fachgebiet:
Innere Medizin
 
Wo ist das Ereignis eingetreten?
Krankenhaus – Intensivstation

Tag des berichteten Ereignisses:
Wochentag

Versorgungsart:
Routinebetrieb

ASA-Klassifizierung:
ASA I

Patientenzustand:
latent aggressiver Patient mit angedrohtem Suizidversuch und erfolgter Fremdgefährdung, akute Psychose

Wichtige Begleitumstände:
Der Patient hatte vom Notarzt Haloperidol und Midazolam erhalten. Begleitet wurde der Transport durch die Polizei. Der Patient war dabei in Bauchlage fixiert. Nach 1/2 h Fahrt zur Aufnahme in einer psychiatrischen Klinik, wurde dort die Aufnahme wegen des verabreichtem Haloperidols und nicht möglicher Monitorüberwachung abgelehnt. Der Patient wurde daraufhin auf der Intensivstation zur Überwachung aufgenommen. Am Folgetag erfolgte die Verlegung in die psychiatrische Klinik. Der Patient war aggressiv und hatte plötzlich ein Stechwerkzeug in der Hand.

Fallbeschreibung:
Eine ausführliche körperliche Untersuchung bei Aufnahme verweigerte der Patient. Er war orientiert und teilweise kooperativ. Er akzeptierte Monitorüberwachung und Blutentnahme. Er wurde ohne Fixierung und ohne komplette körperliche Untersuchung/Leibesvisitation auf die Intensivstation gebracht. Das ursprünglich verwendete Stechwerkzeug war von der Polizei sichergestellt worden. Die Überwachungsphase war unauffällig, außer dass der Patient auf Entlassung drängte.

Was war besonders gut?
Zur Verlegung wurde die Polizei prophylaktisch hinzugezogen. Sie konnte die Situation beherrschen und eine Fremdverletzung verhindern. Kurz vor der Verlegung war bei den am Vorabend begleitenden Polizisten nachgefragt worden. Der Ratschlag lautete auf jeden Fall die Polizei hinzuzuziehen.
 
Was war besonders ungünstig?
Bei Aufnahme erfolgte keine komplette Entkleidung des Patienten sowie bei leidlicher Kooperation keine Fixierung. Eine polizeiliche Sitzwache nach bereits erfolgter Fremdver­letzung fand nicht statt.
Haloperidol wird häufig in der Psychiatrie angewendet. Zwischen der Applikation und der Aufnahme lag eine deutliche Zeitspanne. Die Aufnahme wurde mit dem Hinweis auf dortiger Monitorüberwachungsmöglichkeit verweigert.

 

Eigener Ratschlag (Take-Home-Message)?
Komplette Leibesvisitation bei Aufnahme unter Anwesenheit der Polizei nach Fremdverletzungen/prinzipiell bei psychotischen Patienten.
Krankenhausbekleidung/OP-Hemd/Schlafanzug von Patienten.
Durchsuchen sämtlicher vom Patienten mitgebrachter Gegenstände – auch nach auswärts vorheriger polizeilicher Durchsuchung.
Prophylaktische Fixierung nach vorausgehender Fremdverletzung.
Stationäre Aufnahme nur mit anwesender polizeilicher Sitzwache.
 
Häufigkeit des Ereignisses?
selten

Wer berichtet?
Ärztin/Arzt

Berufserfahrung:
über 5 Jahre


Die Analyse aus Sicht des Anästhesisten
Das ist ein, auch auf Grund der ausführlichen Schilderung, sehr interessanter Fall. Nicht nur im Notarztdienst, sondern auch im Klinikalltag sind die Patienten mit akuten Psychosen oder anderen psychiatrischen Erkrankungen für jeden, der sich in dem Fachgebiet nicht auskennt bzw. über entsprechende Erfahrung verfügt, eine große Herausforderung. Wie der Melder war auch ich etwas über die Weigerung der Aufnahme des Patienten durch die entsprechende Fachklinik überrascht. Schließlich handelte es sich um gängige Medikamente. Ich weiß allerdings nicht, wie die spezielle Klinik ausgestattet ist und z.B. bei Patienten mit einem akuten Delir umgeht.
 
In der Meldung wird erwähnt, dass der Patient bereits jemanden verletzt hatte. Das Fremdgefährdungspotential war also bekannt. Man ist deshalb überrascht, dass die Polizei nicht im Vorfeld eine gründliche Leibesvisitation durchgeführt hatte. Mir ist bekannt, dass die Polizei Sitzwachen zur Verfügung stellt, wenn Fluchtgefahr besteht. Aber wie es im Fall einer evtl. Fremdgefährdung aussieht, müsste am besten in einem direkten Gespräch geklärt werden. Grundsätzlich ist den Empfehlungen des Melders nichts hinzuzufügen:
 
  • In einem solchen Fall muss eine komplette Leibesvisitation durch die Polizei erfolgen. Eine komplette Entkleidung im Krankenhaus gehört dazu. Falls eine Leibesvisitation nicht geschehen ist, muss der aufnehmende Arzt darauf bestehen.
  • Eine prophylaktische Fixierung muss in diesem Fall durch die Polizei, die die Gewaltenhoheit innehat, angeordnet werden. Der aufnehmende Arzt kann aber darauf drängen. Falls die Fixierungsmaßnahmen erst im Verlauf erforderlich werden, müssen diese zumindest ärztlich angeordnet, begründet und zeitlich limitiert werden. Es empfiehlt sich, so früh wie möglich Kontakt mit dem Betreuer/Bevollmächtigten, soweit vorhanden, sonst mit dem zuständigen Amtsrichter aufzunehmen.
 
Zum Glück wurde die Polizei zur Verlegung am nächsten Morgen hinzugezogen. Die Tatsache, dass die Einsatzkräfte des Vortages dies auch dringend befürworteten, spricht dafür, dass zumindest für die Polizei das Gefährdungspotential offensichtlich war.
 
Die Analyse aus Sicht des Juristen
Der Sachverhalt lässt leider eine Reihe von Fragen offen. Es erstaunt, dass ein nach der Sachverhaltsschilderung aggressiver Patient mit einer akuten Psychose bei angedrohtem Suizidversuch und erfolgter Fremdgefährdung nicht in einem psychiatrischen Krankenhaus versorgt werden kann. Bei bestehender Eigen- oder Fremdgefährdung ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, das im Grundsatz zur Überwachung entsprechender Patienten ausgestattet sein muss, aus fachlicher und damit aus rechtlicher Sicht das „Mittel der Wahl“. Nach den Unterbringungsgesetzen der Länder kann eine sofortige Unterbringung bei Gefahr in Verzug durch die örtlichen Ordnungsbehörden respektive die Polizei auch ohne vorherige gerichtliche Entscheidung erfolgen, sofern ein qualifiziertes ärztliches Zeugnis über einen entsprechenden Befund vorliegt. Die Unterbringung einer Person, die unter Betreuung steht, ist in § 1906 BGB geregelt.
 
Wenn davon abgewichen wird, den Patienten in eine psychiatrische Klinik zu verbringen, dann muss die begleitende Polizei bei Patienten in akutem Erregungs- bzw. Unruhezustand nicht nur den Patienten vor Eigenschäden, sondern auch die Ärzte und das Pflegepersonal vor Übergriffen des Patienten bewahren. Hier geht der Schutz des ärztlichen und pflegerischen Personals vor. Ob und durch wen gegebenenfalls „unmittelbarer Zwang“ gegen den (unterzubringenden) Patienten ausgeübt werden kann, ist in den jeweiligen Landespolizei- bzw. Verwaltungsvollstreckungsgesetzen geregelt. Ob und welche Zwangsmittel eingesetzt werden dürfen, hängt von der akuten Situation ab. Hierzu gibt der Sachverhalt nicht genügend Hinweise. Bei (latent) aggressiven Patienten wird der Schutz der Privatsphäre des Patienten vor dem Hintergrund des Schutzes des ärztlichen und pflegerischen Personals zurückzustehen haben, so dass auch unter dem Aspekt der „Menschenwürde“ eine körperliche Untersuchung des Patienten und eine Durchsuchung seiner Kleider etc. nicht von vornherein als unverhältnismäßig erscheint. Ob und welche Fixierungsmaßnahmen anzuordnen sind und ob Sitzwache erforderlich ist, ist ebenfalls nach den Umständen des Einzelfalles zu entscheiden. Bei vermuteter Gefahrenlage sollten Ärzte und Pflegepersonal auf entsprechenden Sicherungsmaßnahmen durch die Polizei bestehen. Im Übrigen sind Maßnahmen zur unmittelbaren Abwendung der Gefahr auch unter dem Gesichtspunkt der Notwehr/des rechtfertigenden Notstands durch Ärzte und Pflegepersonal denkbar und rechtlich zulässig. Bei adäquater Überwachung des Patienten durch die an sich zuständige Polizei/Ordnungsbehörde sollten diese Maßnahmen allerdings eine Ausnahme darstellen.
 
 

 

Take-Home-Message

  • Ärzte und Pflegepersonal haben Anspruch darauf, dass die Polizei bei einwilligungsunfähigen, unkooperativen und potentiell gewalttätigen Patienten ggfls. unter Einsatz unmittelbaren Zwangs ärztliche und pflegerische Behandlungs- und Überwachungsmaßnahmen zur Abwehr von gesundheitlichen Gefahren für den Patienten ermöglicht und unterstützt.
  • Bei „schwierigen Patienten“ auf Fixierungs- und Sicherungsmaßnahmen durch die Polizei bestehen.


Weiterführende Literatur:

Autoren:
Prof. Dr. med. M. Hübler, Universitätsklinik Carl Gustav Carus, Dresden
Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Rechtsanwalt R.-W. Bock, Rechtsanwälte Ulsenheimer-Friederich, Berlin
Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg

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