Fall des Monats Juni 2018 Drucken
30.08.2018

CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen

Insuffiziente Aufklärung für Analgosedierung durch Ärzte anderer Fachrichtungen


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Der Fall:
(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Insuffiziente Aufklärung für Analgosedierung durch Ärzte anderer Fachrichtungen
 
Zuständiges Fachgebiet:
Anästhesiologie
 
Wo ist das Ereignis eingetreten?
Krankenhaus – anderer Ort: Funktionsbereich (interdisziplinär chirurgisch/internistisch)
 
Tag des berichteten Ereignisses:
Wochentag

Versorgungsart:
Routinebetrieb

Wichtige Begleitumstände:
Die Aufklärung der Patienten zur Analgosedierung wird durch die Stationsärzte der bettenführenden Abteilung durchgeführt. Oftmals ist der Fragebogen der Aufklärungsformulare gar nicht ausgefüllt, der Name des aufklärenden Kollegen nicht lesbar oder gar nicht vermerkt und als Notizen zur Aufklärung handschriftlich nur 2-3 Stichworte, in der Regel aus folgender Liste: Aspiration, Pneumonie, Blutung oder respiratorische Insuffizienz vermerkt.

Fallbeschreibung:
Durch fachfremde Ärzte wird eine insuffiziente Aufklärung von teilweise Hochrisikopatienten für eine anästhesiologische Leistung durchgeführt. Ein Prämedikationsprotokoll wird nicht angelegt und oftmals gibt es nur wenige oder keine Unterlagen zu Vorerkrankungen/Risiken im EDV-System und meist auch keinerlei Information hierzu in der Patientenakte.
2 Beispiele, die das Problem verdeutlichen sollen:
- Notfallmäßige Intubation nach unklarem Rigor und Apnoe während der Analgosedierung, (Maskenbeatmung unmöglich), Stabilisierung und problemlose Extubation im Verlauf. Der Patient bestätigt, dass bereits bei den 3 letzten Analgosedierungen ungeplant intubiert worden sei, und der Patient für diesen Eingriff von einer Intubationsnarkose ausgegangen sei.
- Patient mit Mundöffnung <2,5 cm nach Oropharynx-Ca und Radiochemotherapie wird zur Ösophagusbougierung geplant und aufgelegt. Die letzte Intubation war nur mit Hilfe eines Videolaryngoskops möglich. Ein solches ist kurzfristig nur unter Mühe und mit deutlichem Zeitverlust beschaffbar.

Was war besonders gut?
- Patienten die von den Kollegen anderer Fachabteilungen analgosediert werden, werden genauso aufgeklärt.

Was war besonders ungünstig?
- Dies ist ein seit langer Zeit bestehendes Problem.
- Die Namen der aufklärenden Kollegen sind oft nicht zu entziffern.
- Es besteht ein sehr geringes Problembewusstsein bei vielen aufklärenden Kollegen, wenn man diese erreicht.

Häufigkeit des Ereignisses?
fast täglich

Wer berichtet?
Arzt / Ärztin

Berufserfahrung:
über 5 Jahre



Die Analyse aus Sicht des Anästhesisten
Die Anforderung von Anästhesieleistungen außerhalb des OP-Saals steigt kontinuierlich. Die Gründe dafür sind mannigfaltig: Unangenehme oder schmerzhafte diagnostische/therapeutische Maßnahmen, Ruhigstellung unkooperativer Patienten oder Dämpfung von Angstzuständen o.Ä.
 
Der Begriff Sedierung wird verwendet, sobald bei den Patienten pharmakologisch interveniert wird. Tatsächlich handelt es sich aber um einen sehr unscharfen Begriff, der die unterschiedlichen Sedierungstiefen nicht berücksichtigt [1, 2]:
  • minimale Sedierung: Der Patient ist wach und ansprechbar.
  • moderate Sedierung: Der Patient ist erweckbar und kann ganz gezielte Fragen beantworten.
  • tiefe Sedierung: Der Patient ist durch Schmerzreize erweckbar. Spontanatmung und Schutzreflexe sind u.U. eingeschränkt. Eine Atemwegsicherung kann erforderlich sein.
Im Stadium der tiefen Sedierung sind die Patienten in der Regel nicht mehr kooperativ. Bewegen sie sich z.B. trotz Aufforderung und gefährden damit sich oder das Untersuchungs-/Therapie­ergebnis, muss eine Allgemeinanästhesie durchgeführt werden. Aus diesem Grund ist es stets erforderlich, die Patienten auch für alle Risiken einer Allgemeinanästhesie aufzuklären. Jedem Anästhesisten ist klar, dass die in der Meldung erwähnte Aufzählung von „Aspiration, Pneumonie, Blutung oder respiratorische Insuffizienz“ nicht ausreichend ist.
 
Weitere wesentliche Aufgaben der Prämedikationsvisite sind neben der Aufklärung des Patienten die Anamneseerhebung, die körperliche Untersuchung, die individuelle Risikoevaluation und die Dokumentation der erhobenen Befunde und des Aufklärungsgespräches. Diese Minimalforderung ist selbst bei einer Stand by-Funktion unverzichtbar [3] und aus Gründen der Patientensicherheit ein Muss.
 
In der Meldung wird beschrieben, dass es in dem Haus üblich ist, die Vorbereitung und Aufklärung für eine Sedierung durch nicht-anästhesiologische Kollegen durchführen zu lassen. Dieses Konzept ist verführerisch, da es zu einer deutlichen Entlastung der Anästhesie führt und den Patienten u.U. einen Gang in eine Prämedikationsambulanz erspart. Leichte und moderate Sedierungen können durch Kollegen jeder Fachdisziplin durchgeführt werden [2] – tiefe Sedierungen, die jederzeit in eine Allgemeinanästhesie münden können, jedoch nicht. Ist eine tiefe Sedierung geplant oder im Rahmen des Möglichen, muss organisatorisch sichergestellt werden, dass sowohl die präanästhesiologische Evaluation als auch die Aufklärung kompetent durchgeführt wird und dem anästhesiologischen Facharztstandard entspricht.
 
Facharztstandard bedeutet nicht, dass der Aufklärende Facharzt sein muss, sondern dass er für diese spezielle Handlung das entsprechende Wissen hat. Die Aufklärung für eine Allgemeinanästhesie kann daher prinzipiell auch durch einen Nicht-Anästhesisten durchgeführt werden. Die Voraussetzung ist aber eben, dass die Qualität der Evaluation und Aufklärung nicht darunter leidet. Aus diesem Grund ist es unüblich, die „Aufklärungsarbeit“ anderer Fachabteilungen zu übernehmen oder von anderen Fachabteilungen durchführen zu lassen.
 
So wie die Situation beschrieben wird, werden die oben genannten Bedingungen nicht erfüllt. Das führt nicht nur zu Überraschungen bei dem Anästhesisten, der den Patienten betreut, sondern es ist anzuzweifeln, ob die Aufklärung überhaupt gültig ist. Schließlich muss sich jeder Patient aller Risiken bewusst sein, die er mit der Einwilligung in ein Verfahren eingeht, und das geht nur nach entsprechender Aufklärung. Dem Anästhesisten ist daher zu raten, keine tiefe Sedierung oder gar eine Allgemeinanästhesie durchzuführen. Eine weitere Empfehlung wäre, die beschriebene Arbeitsteilung grundsätzlich zu verlassen und in Zukunft die Patienten von einem Anästhesisten prämedizieren zu lassen.

Die Analyse aus Sicht des Juristen
In dem Beschluss von BDA und DGAI zur „Analgosedierung für diagnostische und therapeutische Maßnahmen bei Erwachsenen“ [2] werden die möglichen Komplikationen der Analgosedierung bis hin zur Gefahr lebensbedrohlicher Verläufe beschrieben. Es wird betont, dass es deshalb einer besonderen Sorgfalt bei der Auswahl und Vorbereitung der Patienten, dem Einsatz und der Qualifikation des ärztlichen sowie nicht-ärztlichen Personals bedarf.
Zur Vorbereitung einer Analgosedierung wird ausgeführt:
 
„Die ärztliche Vorbereitung zur Analgosedierung umfasst bei allen Patienten:
  • die Anamneseerhebung (vor allem hinsichtlich der Vitalfunktionen, Allergien, früheren Anästhesien/Sedierungen, bestehenden Medikationen, ggf. Substanzabusus)
  • die körperliche Untersuchung (vor allem der oberen Luftwege hinsichtlich der jederzeitigen Sicherbarkeit der Atemwege, der Venenverhältnisse und des Blutdrucks)
  • die Risiko- und Sicherungsaufklärung sowie
  • die Dokumentation der erhobenen Befunde und des Aufklärungsgesprächs.“
 
Gerade bei geplanten tiefen Analgosedierungen soll wegen des fließenden und unvorhersehbaren Übergangs zur Allgemeinanästhesie eine dem Vorgehen vor Allgemeinanästhesien entsprechende ärztliche Vorbereitung erfolgen. Es wird dann erläutert:
 
„Im Zuge der Risikoaufklärung über die geplante Prozedur ist der Patient rechtzeitig auch über die Vorbereitung und die verschiedenen Methoden einer Analgosedierung, ihre Vor- und Nachteile, Risiken und Komplikationen sowie über mögliche Alternativen, ggf. auch über den Verzicht einer solchen durch einen Arzt zu informieren. Die Entscheidung des Patienten – Zustimmung zu einer Analgosedierung oder deren Ablehnung – ist ebenso wie die Details der Aufklärung aus forensischen Gründen zu dokumentieren.
 
Im Rahmen der Sicherungsaufklärung ist der Patient vorzugsweise bereits bei der Festlegung des Untersuchungstermins schriftlich darauf hinzuweisen:
  • dass das Reaktions- und Urteilsvermögen bis zu 24 Stunden nach einer Analgosedierung noch beeinträchtigt sein kann. Innerhalb dieser Zeit darf der Patient daher weder wichtige Entscheidungen treffen, noch aktiv am Straßenverkehr teilnehmen, keine gefahrbringenden Tätigkeiten ausüben sowie keinen Alkohol oder andere zentral wirksame Substanzen zu sich nehmen,
  • dass bei ambulanten Maßnahmen für eine kompetente Begleitung auf dem Heimweg und die anschließende häusliche Betreuung gesorgt sein muss.“
Selbstverständlich sind auch diese Hinweise zu dokumentieren.
 
Zur Risikoaufklärung: Die Rechtsprechung fordert eine Aufklärung durch einen Arzt. Dies muss aber nicht notwendigerweise der Arzt sein, der die Maßnahme durchführt. Nur: Es muss sichergestellt sein, dass der Arzt, der aufklärt, die Methoden, Techniken und Verfahren kennt, auch mögliche Alternativen mit dem Patienten erörtern und dessen Fragen beantworten kann. Denn auch im Rahmen der Aufklärung gilt der so genannte Facharztstandard.
 
Wichtig: Der behandelnde Arzt ist für die Aufklärung „seines“ Patienten verantwortlich, Mängel der Aufklärung führen zur Unwirksamkeit der Einwilligung, die Voraussetzung einer rechtmäßigen Behandlung des Patienten ist. Dies schließt zwar die Delegation innerhalb der Fachabteilung und auch darüber hinaus nicht aus. Aber: Wird die Aufklärung auf andere Ärzte innerhalb der Fachabteilung und erst recht fachübergreifend delegiert, dann muss die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufklärung sichergestellt sein. Denn nur dann darf der die Maßnahme durchführende Arzt auch darauf vertrauen, dass sein ärztlicher Kollege innerhalb der Fachabteilung oder auch fachübergreifend den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Aufklärung nachgekommen ist.
 
Mit Urteil vom 07.11.2006 (Az. VI ZR 2006/05) hat der Bundesgerichtshof (BGH) die Organisationspflichten bei Delegation der Aufklärung innerhalb der Fachabteilung erheblich verschärft (siehe BDAktuell JUS-Letter September 2007 [4]). Er verlangt eine allgemeine Organisationsanweisung, die Art und Weise, Inhalt und Umfang sowie Zeitpunkt der Risikoaufklärung regelt – und stichprobenhaft überprüft wird. Aber auch dann, wenn es innerhalb der Fachabteilung eine solche Aufklärungsanweisung gibt, muss der behandelnde Arzt, da ihm die Aufklärung des Patienten als eigene Aufgabe obliegt, die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufklärungsanforderungen zumindest in der Weise überprüfen, dass er sich „etwa in einem Gespräch mit dem Patienten über dessen ordnungsgemäße Aufklärung und/oder durch einen Blick in die Krankenakte vom Vorhandensein einer von Patient und aufklärendem Arzt unterzeichneten Einverständniserklärung vergewissert hat, dass eine für einen medizinischen Laien verständliche Aufklärung unter Hinweis auf die spezifischen Risiken des vorgesehenen Eingriffs“ erfolgt ist.
Wenn dies schon für die Delegation der Aufklärung innerhalb der Fachabteilung gilt, dann gilt die Anforderung, die Details der Aufklärung abzusprechen, erst recht, wenn fachübergreifend aufgeklärt wird. Dies bedeutete: Klären „fremde“ Fachvertreter den Patienten über geplante, tiefe Sedierungen und/oder den notwendigen Übergang in eine Allgemeinanästhesie – und damit auch über diese – auf, dann müssen mit diesen Fachabteilungen – dokumentierte und – stichprobenhaft überprüfte – Absprachen über Art und Weise, Inhalt und Zeitpunkt der Aufklärung getroffen werden [5]. Auch dann muss der Anästhesist, der zum Patienten gerufen wird, sich mit einem Blick in die Krankenakte vergewissern, dass die Aufklärung den zwischen den Fachabteilungen vereinbarten Anforderungen entsprechend durchgeführt ist, wie der Bundesgerichtshof in seinem angesprochenen Urteil zu den Organisationspflichten bei Delegation der Aufklärung ausgeführt hat.
 
Die knappe Sachverhaltsschilderung macht aber zumindest die Wichtigkeit der fachlichen Anforderungen bzgl. Auswahl und Vorbereitung der zu sedierenden Patienten und die der rechtlichen für die Risikoaufklärung deutlich.

 

Take-Home-Message

  • Minimale und moderate Sedierungen dürfen von allen Fachdisziplinen durchgeführt werden. Tiefe Sedierungen können jederzeit in eine Allgemeinanästhesie münden. Daher muss bei der präanästhesiologischen Visite (Risikoevaluation, körperliche Untersuchung, Aufklärung) Facharztstandard für Anästhesie sichergestellt sein.
  • Die Übernahme der präanästhesiologischen Visite durch andere Fachabteilungen ist prinzipiell möglich aber ungewöhnlich, da mit hoher Wahrscheinlichkeit der Facharztstandard für Anästhesie nicht erfüllt wird.
  • Bestehen Zweifel an der Qualität einer entsprechenden präanästhesiologischen Visite durch andere Fachabteilungen, ist die Annahme zulässig, dass die Zustimmung des Patienten für eine Anästhesie nicht gültig ist.



Weiterführende Literatur:
Autoren:
Prof. Dr. med. M. Hübler, Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinik Carl Gustav Carus, Dresden
Dr. iur. E. Biermann, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg

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