Fall des Monats August 2018 Drucken
05.11.2018

CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen

Patient erleidet während eines Intrahospitaltransfers aufgrnd einer unerkannten Hypoxie einen Herzkreislaufstillstand


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Der Fall:
(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Patient erleidet während eines Intrahospitaltransfers aufgrund einer unerkannten Hypoxie einen Herzkreislaufstillstand
 
Zuständiges Fachgebiet:
Anästhesiologie
 
Wo ist das Ereignis eingetreten?
Krankenhaus – AWR
 
Tag des berichteten Ereignisses:
Wochentag

Versorgungsart:
Routinebetrieb

ASA-Klassifizierung:
ASA II

Patientenzustand:
Vor dem Vorfall bzw. der OP war der Patient soweit gesund (keine kardiopulmonalen Einschränkungen) und war Selbstversorger.

Wichtige Begleitumstände:
Der Patient wurde von einem OP der im Außenbereich liegt (Fahrtzeit? mit Etagenwechsel inkl. Aufzugfahrt) in den AWR transferiert.

Fallbeschreibung:
Der Patient wurde vom Patiententransportdienst in den AWR geschoben. Bei Ankunft zeigte er ein zyanotisches Hautbild besonders auffällig im Gesicht. Als der Transportdienst gefragt wurde, wie lange der Patient sich in diesem Zustand befindet antwortete dieser, dass es noch nicht lange sein könne.
Auf Ansprache zeigte der Patient keine Reaktion, bei Pulskontrolle an der Arteria radialis war kein Puls tastbar. Sofortiger Beginn der Reanimation unter Hilfestellung weiteren Pflegepersonals und Ärzten.

Was war besonders gut?
- Sofortige Maßnahmen sind gelaufen, nachdem die Situation abschätzbar war.
- Es war genügend Fachpersonal vorhanden.

Was war besonders ungünstig?
- Der Patient hatte zu dem Zeitpunkt (Transport) keine Monitorüberwachung.
- Der Patient hatte keine Sauerstoff-Versorgung während des Transportes.
- Die Hypoxie wird der Auslöser der Reanimation gewesen sein.
- Fehlende Monitorüberwachung während des Transportes.
- Keine permanente Ansprache des Patienten.
- Keine Sauerstoffgabe während des Transportes.

Eigener Ratschlag (Take-Home-Message)?
In Anbetracht der vielen und schweren Verletzungen kam es zu einer relativ zügigen Stabilisierung, die mitunter auch auf einer erfreulich ruhigen, unaufgeregten und konzentrierten Atmosphäre beruhte.
Um die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu verbessern wären Trainings, insbesondere mit der Pflege der Notaufnahme und den RTAs sinnvoll, da hier die Kommunikation zwar gut, aber längst nicht so gut wie zwischen den anderen Disziplinen war. Zudem könnten hier Stellproben dafür sorgen, dass sich möglichst wenig im Weg gestanden wird und mehr Zeit eingespart werden kann.
Zudem wäre ein Training im Klinikalltag eher seltener Maßnahmen (z.B. Lyoplas) oder kritischer traumaspezifischer Patientenzustände hilfreich.
Die Schockraumleitung sollte zusätzlich darauf achten, dass Prozeduren nicht unnötig viel Zeit kosten, sondern frühzeitig dafür sorgen, dass Alternativen angegangen werden.
Ein zusätzlicher Monitor mit den Vitalparametern in Blickrichtung des am Patienten arbeitenden Anästhesie-Teams oder die (Ein-) Planung einer zusätzlichen Kraft, die alles ansagen kann und nicht voll von der Patientenversorgung vereinnahmt ist, wäre wichtig.

Häufigkeit des Ereignisses?
erstmalig

Wer berichtet?
Pflege-, Praxispersonal



Die Analyse aus Sicht des Anästhesisten
Zahlreiche Untersuchungen haben nachgewiesen, dass ein Großteil der Todesfälle, die innerhalb der ersten 24 h nach einer Anästhesie auftreten, bei entsprechender Überwachung hätten vermieden werden können. Dieses Wissen hat letztendlich zur Einführung von Überwachungseinheiten und Aufwachräumen geführt. Die Wichtigkeit ist sicherlich jedem Anästhesisten bewusst - auch in dem geschilderten Fall hat das anästhesiologische Team eine Verlegung von dem dezentralen Arbeitsplatz in den Aufwachraum eingeleitet. Jetzt kommt aber das Entscheidende: Der Transport wurde durch ungeschultes Personal ohne ärztliche Begleitung, ohne Sauerstoffgabe und ohne Monitoring durchgeführt. Der Meldung ist nicht zu entnehmen, ob prinzipiell die Möglichkeit zur Überwachung bestanden hätte und diese nicht genutzt wurde, oder ob dies bei Inanspruchnahme des Transportdienstes generell nicht vorgesehen ist. Auch die genaue Qualifikation des Personals ist unklar.
 
Die Anästhesie wird mit einer zunehmenden Anzahl dezentraler Arbeitsplätze konfrontiert, und der Frage der Überwachung während des Transportes von diesen Arbeitsplätzen zum Aufwachraum muss sich jede Anästhesieabteilung stellen. Auch die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin und der Berufsverband Deutscher Anästhesisten haben sich mit dieser Fragestellung beschäftigt und im Jahr 2009 die Empfehlungen für die Überwachung nach Anästhesieverfahren aktualisiert [1]. Hier steht speziell zu diesem Problem:
 
  • Es ist im Einzelfall vom Anästhesisten zu entscheiden, ob ein Patient geeignet ist, aus seiner unmittelbaren Betreuung in die AWE (Aufwachraumeinheit) übergeben zu werden. […]
  • Für die Sicherheit des Patienten beim Transport zur AWE ist der Anästhesist verantwortlich. Beim Transport dürfen die apparative Überwachung und ggf. eine erforderliche Sauerstoffinsufflation allenfalls kurzfristig unterbrochen werden, wenn die AWE unmittelbar neben dem OP liegt. Ansonsten sind Überwachung und Therapie auch während des Transportes an die Erfordernisse des Patienten angepasst aufrecht zu erhalten. Es darf keine Überwachungs- und Therapielücke zwischen dem Ort des Eingriffs und der AWE geben.
 
Diese Empfehlung bezieht sich auch auf den Transport eines Patienten aus dem OP-Saal in einen im OP-Bereich gelegenen AWR. Auch hier gilt, dass "Überwachung und Therapie […] während des Transportes an die Erfordernisse des Patienten angepasst aufrecht zu halten" sind. Im Einzelfall kann dies bedeuten, dass auch für kurze Wegstrecken ein Aufwand, vergleichbar wie für den Transport eines Intensivpatienten erforderlich ist (z.B. invasives Blutdruckmonitoring bei laufenden Katecholaminperfusoren, etc.).
 
Was bedeutet dies nun konkret für eine Transportsituation wie in dem geschilderten Fall? Mitzuführen sind:
 
  • Überwachungsmonitor (Blutdruck, EKG, SpO2, ggf. invasive Druckmessung)
  • Sauerstoff
  • Absaugmöglichkeit
  • Notfallkoffer/-rucksack
 
Retrospektiv stellt sich als entscheidende Frage in diesem Fall, was die Rationale des Anästhesisten war, den Transport nicht selbst zu begleiten, sondern an den (medizinisch ungeschulten) Transportdienst zu delegieren. Häufig entpuppen sich vordergründig eindeutige Situationen („...wie konnte xy nur?“) bei genauerer Betrachtung als komplexe Problemstellungen, deren Lösung die Betroffenen nicht selten zu einer Abwägung zwangen. Bei der Aufarbeitung müssen zwei prinzipiell unterschiedliche Gedanken verfolgt werden:
 
a) Patienten werden regelmäßig aus einem Außenbereich ohne adäquate Überwachung und Transportbegleitung verlegt. Derartige Probleme sind häufig strukturell begründet (Personalmangel, Zeitmangel, Bequemlichkeit, etc.) und haben sich über eine längere Zeit eingeschlichen. War der beteiligte Anästhesist mit dieser „gängigen Praxis“ einverstanden, oder war es ihm nicht möglich, sich in einer bestehenden Abteilungskultur gegen diese zu widersetzen? Oder war er in dieser Kultur aufgewachsen und empfand dieses Vorgehen nicht als Verstoß gegen aktuelle Empfehlungen, sondern als „good clinical practice“?
b) Die Verlegung aus dem Außenbereich war eine Ausnahme und entsprach nicht dem üblichen Vorgehen. Warum hat sich der beteiligte Anästhesist dann gegen eine Begleitung und für die Verlegung mit Transportdienst entschieden? Lagen eventuell weitere Notfälle im OP vor? Welche weiteren Faktoren können die Entscheidung beeinflusst haben?
 
Des Weiteren stellen sich u.a. Fragen nach dem Ausbildungsstand des Anästhesisten und der verfügbaren Supervision. Generell muss angemerkt werden, dass wir bei der Aufarbeitung eines derartigen Falls nie eine Ursache finden, sondern uns eine plausible Erklärung aussuchen – also bestimmen wir auch, wie sehr diese Suche „in die Tiefe“ geht. Begnügen wir uns mit einer Erklärung, die in der Person des/der Beteiligten liegt, oder hinterfragen wir schwierigere Themen wie Organisationsstrukturen, Arbeitsabläufe oder Arbeitsplatzkultur?
 
Wir sollten für die Diskussion zugrunde legen, dass kein Anästhesist eine Patientenschädigung, wie in diesem Fall die Reanimation auf dem Boden einer Hypoxie, billigend in Kauf nimmt. Im Gegenteil: Untersuchungen dokumentieren den posttraumatischen Stress für die Beteiligten durch das Wissen, jemand anderem geschadet zu haben (die sogenannten „zweiten Opfer“ eines Zwischenfalls). Aufbauend auf dieser Grundannahme müssen die Ereignisse, insbesondere bei einem derart gravierenden Zwischenfall, in mühevoller Kleinarbeit aufgearbeitet und hinterfragt werden. Nur so können die Geschehnisse verstanden und nachhaltige Schlüsse daraus gezogen werden. Dies erfordert allerdings das Gespräch mit den beteiligten Personen, um deren Beweggründe zu eruieren und zu verstehen; eine CIRS-Meldung stößt hierbei leider an ihre Grenzen und lässt viele Fragen unbeantwortet.


Die Analyse aus Sicht des Juristen
Der Bundesgerichtshof hat wiederholt betont, dass die Sicherheit des Patienten oberstes Gebot ist. Das heißt, Engpässe aus ökonomischen Gründen oder mangelnde Personalreserve können nicht entschuldigen: Die Versorgung des Patienten hat zu jedem Zeitpunkt den fachlich gebotenen Standards zu entsprechen, wie sie etwa in Leitlinien, aber auch sonstigen Empfehlungen bzw. Vereinbarungen der Fachgebiete abgebildet sein können. Die juristische Betrachtung folgt der fachlichen: Zu Recht wird in der Analyse des Anästhesisten betont, dass gerade die (unmittelbare) postanästhesiologische Phase oft die für den Patienten gefährlichste ist, so dass es keine Überwachungslücke geben darf und dafür gesorgt werden muss, dass auch auf dem Transport ärztliche Hilfe, wenn notwendig, jederzeit zur Verfügung steht.
 
Dabei sind Art und Intensität der Betreuung/Überwachung abhängig von den möglichen Beeinträchtigungen der Vitalfunktionen und der Vigilanz des Patienten. Maßgeblich ist der jeweilige Zustand des individuellen Patienten unter Berücksichtigung der Grunderkrankung, des operativen Eingriffs, des Anästhesieverfahrens und seiner Nachwirkungen. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Frage nach der Qualifikation des Begleitpersonals nicht abstrakt, sondern nur situationsbezogen unter Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles vor Ort beantworten.
 
Im Zweifel ist aber die größere Sorgfalt zu beachten! Gerade wenn es darum geht, frisch operierte Patienten in den Aufwachraum zu verlegen, muss zum Schutz des Patienten im Zweifel die größtmögliche Sorgfalt in Bezug auf das Begleitpersonal wie das Transportmonitoring gestellt werden. Erst recht gilt dies, wenn es im OP Probleme gegeben haben sollte, die auf eine erhöhte Betreuungs - und Überwachungsbedürftigkeit hinweisen.
 
Grundsätzlich gilt: Je zweifelhafter die Qualifikation des Transportpersonals, desto kritischer ist ärztlicherseits die Notwendigkeit einer Arztbegleitung zu beurteilen. Wenn es der Zustand des Patienten und seine Sicherheit erfordern, wird auch ein Arzt einen Patienten begleiten müssen.
 
Wer trägt die Verantwortung für die Prüfung der Transportfähigkeit, der Transportbegleitung, insbesondere im Hinblick auf die Qualifikation des Begleitpersonals und des Monitorings? In der anästhesiologischen Analyse wurde die maßgebende Verlautbarung des Fachgebietes bereits zitiert: Der verantwortliche Anästhesist entscheidet, ob er den Patienten wann, unter welchen Bedingungen und an wen abgeben kann, er trägt für diese Entscheidung die fachliche wie dann daraus folgend auch die rechtliche Verantwortung.
 
In der schon zitierten Empfehlung der Verbände zur Überwachung des Patienten nach Anästhesieverfahren [1] ist unter 1.4 festgelegt, wann die Verantwortung des Anästhesisten endet:
Die Verantwortung des Anästhesisten endet mit der Übergabe des Patienten aus seiner anästhesiologischen Betreuung an die nachbehandelnde Struktur, es sei denn, es ist – z.B. im Rahmen des ambulanten Operierens – ausdrücklich etwas anderes vereinbart.
 
D.h.: Wenn nichts anderes vor Ort vereinbart wurde, bleibt der Anästhesist verantwortlich für den Patienten bis zu dem Zeitpunkt, an dem der Patient aus dem Aufwachraum verlegt wird. Dann wird man davon ausgehen dürfen, dass die jeweilige Normalstation verantwortlich dafür ist, dass der verlegungsfähige Patient vom Aufwachraum abgeholt und auf die Normalstation verbracht wird. Gibt es aus anästhesiologischer Sicht besondere Betreuungs- oder Überwachungsnotwendigkeiten – oder ergeben sich diese aus dem operativen Eingriff und seinen Nachwirkungen – dann wird der Arzt, der über die Verlegung aus dem Aufwachraum entscheidet, dem transportierenden Personal allerdings die entsprechenden Hinweise geben und gegebenenfalls auch dafür sorgen müssen, dass bei einem gefährdeten Patienten der Transport durch qualifiziertes Personal, eventuell in Arztbegleitung erfolgt (vergleiche auch Fall des Monats März 2013).


 

Take-Home-Message

  • Bei Transporten in der unmittelbar postoperativen Phase müssen Überwachung und Therapie an die Bedürfnisse des Patienten angepasst und sichergestellt werden. Es darf jedoch zu keinem Zeitpunkt zu einer Überwachungs- oder Therapielücke kommen.
  • Zwischenfälle lassen sich retrospektiv häufig sehr einfach erklären, wenn nur das Verhalten der beteiligten Personen beleuchtet wird. Es muss aber darauf geachtet werden, sich damit nicht zufrieden zu geben und die Hintergründe genau zu beleuchten; nur so offenbaren sich systemische Probleme.
  • Für den Transport des Patienten in den Aufwachraum und die Modalitäten des Transports ist der Anästhesist fachlich und rechtlich verantwortlich.



Weiterführende Literatur:
Autoren:
Dr. med. C. Neuhaus, Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinikum Heidelberg
Prof. Dr. med. M. Hübler, Klinik für Anästhesiologie, Universitätsklinik Carl Gustav Carus, Dresden
Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg

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