Fall des Monats Winter 2019 Drucken
17.01.2020

CIRSmedical Anästhesiologie - Berichten und Lernen

Notfallversorgung eines traumatisierten Säuglings deckt zahlreiche Schwachstellen auf

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Der Fall:
(Aus Gründen der Anonymität wird im Folgenden bei Personen stets die männliche Bezeichnung verwendet.)
Notfallversorgung eines traumatisierten Säuglings deckt zahlreiche Schwachstellen auf

Zuständiges Fachgebiet:
Anästhesiologie

Wo ist das Ereignis eingetreten?
Krankenhaus - Notfallaufnahme

Tag des berichteten Ereignisses:
Wochenende / Feiertag

Versorgungsart:
Notfall

ASA-Klassifizierung:
ASA I

Patientenzustand:
Säugling, der vom Notarzt nach einem Trauma erfolgreich reanimiert worden war. Der Transport ins Klinikum erfolgte unter Maskenventilation ohne i.v./i.o.-Zugang.

Wichtige Begleitumstände:
Die Anmeldung erfolgte durch die Leitstelle in der zentralen Notfallambulanz. Diese leitete den RTW in die Kinder-Notfall-Ambulanz um bei fehlender Information über Reanimations-Zustand. Zur Übernahme des Kindes begab sich der Anästhesiedienst in die Kinderambu-lanz. Dort existiert kein eingerichteter Anästhesie-Arbeitsplatz, sondern es ist nur die Basis-Notfallausstattung der Kinderklinik vorhanden.

Fallbeschreibung:
Der Anästhesiedienst (Assistenzarzt, Fach-Pflegekraft und OA Hintergrund), der OA der Pädiatrie mit einer Fachpflegekraft der pädiatrischen Intensivstation und das Ambulanzteam (Assistenzarzt Pädiatrie, Pflegekraft der Kinder-Normalstation (am WE wird die Kinder-Ambulanz regulär von der ortsfremden Kinder-Normalstation betreut)) trafen zeitgleich in der Kinder-Notfall-Ambulanz ein.
Kurze Zeit später wurde das Kind vom RTW mit Notarzt gebracht. Das Kind hatte einen Krampfanfall und war hypoxisch (SpO2 70%), tachykard (HF 168/min) und hypoton (RR 60 mmHg syst.).
Es erfolgte die zügige Anlage eines i.v.-Zuganges und Gabe von Lorazepam unter paralleler Maskenbeatmung. Der Krampfanfall sistierte, der SpO2-Wert stieg (94%) und unter Volu-mengabe verbesserten sich die Kreislaufparameter.
Das Equipment für die Intubation musste von mehreren Orten, teils von Nachbarstationen, organisiert werden. Eine Kapnometrie war gar nicht vorhanden und wurde kurzfristig für die Narkoseeinleitung vom RTW zur Verfügung gestellt.
Nach der Intubation erfolgte die Beatmung mittels Transportbeatmungsgerät der pädiatri-schen Intensivstation. Während des Transports zur weiteren Diagnostik wurde der Ambulanzmonitor verwendet. Unterwegs kam es zu einem Akkuausfall (kurzfristig ca. 2-3 Minuten keine Monitormöglichkeit bis zum Eintreffen des Transportmonitors aus dem Schockraum der ZNA).

Was war besonders gut?
Gute Teamkommunikation und zügige Organisation und Kompensation des fehlenden Equipments bei erfahrenem Team.

Was war besonders ungünstig?
- Fehlleitung eines schwerstkranken/-verletzten Kindes in die Kinderambulanz statt in den dafür vorgehaltenen Schockraum.
- Der Einsatzort war den meisten Beteiligten unbekannt und für die Versorgung eines schwererkrankten Kindes ungeeignet (mangelndes Monitoring, insb. Kapnometrie, fehlende Medikamente).
- Keine standardisierte Ausstattung der Notfallwagen, unzureichende Ausstattung der Transportbeatmungsgeräte ohne O2-Versorgung (Gerät wird sonst nur zur Früh- und Neu-geborenenversorgung verwendet).
- Ausfall des Transportmonitors bei leerem Akku (altes Gerät ca. 15 Jahre alt sonst nur sta-tionär im Einsatz).

Eigener Ratschlag (Take-Home-Message)?
- Deutlichere Kommunikation zwischen Leitstelle, Krankenhaus und Rettungsdienst bezüglich der krankenhausinternen Versorgung schwerstkranker/-verletzter Kinder.
- Anpassung/Angleichen der Notfallausstattung in allen Bereichen
- Überprüfung/Angleichung der Transportüberwachungs-/-beatmungsgeräte auf klinikeinheitlichen Standard (CO2-Messung/O2-Versorgung, etc.)
- Notfallschulung/Simulation des eingesetzten Personals auch (gerade) in selten (für die Notfallversorgung) genutzten Räumen.

Häufigkeit des Ereignisses?
selten

Wer berichtet?
Arzt / Ärztin

Berufserfahrung:
über 5 Jahre



Die Analyse aus Sicht des Anästhesisten
Vielen Dank für die CIRS-Meldung, aus der sich gleich mehrere konkrete Verbesserungen zugunsten der Patientensicherheit ableiten lassen.
 
In der detaillierten Schilderung wird der Ablauf einer Versorgung eines kritisch kranken Säuglings außerhalb des Schockraumes/der Intensivstation beschrieben. Die Versorgung war von vielfältigen Hindernissen vor allem logistischer und apparativer Art begleitet.
 
Drei Aspekte sind hervorzuheben - Team, Organisation und Ausrüstung:
 
Der Teamaspekt ist besonders positiv hervorzuheben, denn das sehr gut qualifizierte und interdisziplinäre Team konnte – wie geschildert – andere auftretende Probleme kompensieren. Auch ohne konkrete Kenntnis der tatsächlichen Situation enthält die Schilderung eine wichtige Botschaft: Ein kompetentes Team kann enorme und plötzliche Hürden nehmen und Patientenversorgung auch unter erschwerten Bedingungen gewährleisten.
 
Beim Organisationsaspekt steht auf der positiven Seite die rechtzeitige Alarmierung und Verfügbarkeit des Teams, auf der anderen Seite war trotz einer vital bedrohlichen Verletzung und Erkrankung des Patienten kein adäquates räumliches und apparatives Setting gegeben.
 
Wir folgen den Stichworten:
 
Alarmierung: Alarmierungswege müssen definiert und tatsächlich zu jeder Zeit gangbar sein. Diensttelefone oder die gewählte Alarmierungsoption (Pager, Rufanlagen) müssen stetige Erreichbarkeit gewährleisten. Technisch kann dies bei Telefonen z.B. durch eine Anklopf- oder Gesprächsunterbrechungsfunktion oder die Verfügbarkeit von zwei alternativen Alarmierungswegen umgesetzt werden.
 
Verfügbarkeit eines Teams: Der Versorgungsauftrag der Behandlungseinrichtung bestimmt die notwendige Vorhaltung. Diese Vorhaltung muss tatsächlich vorhanden sein, d.h. das Personal muss zu jeder Zeit zur Verfügung stehen. Betriebswirtschaftliche Erwägungen sind in dieser Frage nachrangig.
 
Zu beiden vorgenannten Aspekten gab der Erfolg den Strukturen recht: Es trat ein umfangreiches und kompetentes Team auf den Plan.
 
Jedoch war nicht alles gut: Der Ort des Geschehens war sehr ungünstig, und es traten weitere Schwierigkeiten aus den Bereichen Kommunikationsstruktur und Ausstattung hinzu.
 
Konkret lassen sich die Prozesse Anmeldung, Klinikstruktur und innerklinisches Notfallmanagement herausheben. Folgend sind die Implikationen dieser drei Stichworte diskutiert:
 
Anmeldung: Ein für die Einsatzkräfte vor Ort sichtbar kritisch verletztes Kind wurde in einen dafür nicht vorgesehenen Behandlungsbereich gebracht. Entweder gab es ein Kommunikationsproblem im Umfeld Einsatzkräfte – Leitstelle – Klinik, oder es wurde innerklinisch eine falsche Entscheidung gefällt. Diese Kommunikationsprozesse sind besonders anfällig für Störungen. Oftmals erfolgt eine Weitergabe von Informationen nicht direkt. Typisch ist ein Informationsfluss von den Einsatzkräften über die Leitstelle an einen Meldekopf in der Klinik, der dann weitere Kräfte informiert. Allein auf diesem Weg können sich Informationen inhaltlich und vom Umfang her erheblich verändern, so dass dem letzten Empfänger nur eine verfälschte Information zur Verfügung steht. Eine von der Kenntnis über den wahren Patientenzustand getragene Anmeldung ist allerdings nur durch eine unverfälschte Informationsübermittlung zwischen Einsatzkräften und Klinik möglich.
 
Die Klinikanmeldung ist ein in sich schwieriger Sachverhalt. Es sind immer mindestens drei zuständige Beteiligte und eine betroffene Person (Einsatzkräfte, Leitstelle, Klinik und Patient) zu berücksichtigen. Alle – außer dem Patienten – können ihre Zuständigkeit und Interessen wirksam geltend machen, jedoch sollte der Patient letztlich im Mittelpunkt stehen. Die im Sinne des Patienten unverfälschte und dem Krankheits- oder Verletzungsbild angemessene, umfassende Informationsübermittlung ist schwer umzusetzen. Die Einsatzkräfte sind in vielen Bereichen angehalten, keinen unmittelbaren Kontakt mit der Klinik zu suchen, um den Meldekopf in der Klinik nicht mit Anrufen zu überlasten, oder sie sollen möglicherweise ausschließlich die Leitstelle bemühen. Sofern keine direkte telefonische oder elektronische Übermittlung von Daten zum Patientenzustand zur Verfügung steht, muss eine Anmeldung durch den Mittler Leitstelle erfolgen, was hinsichtlich der Informationsqualität als zweitbeste Lösung gelten muss. Welche örtliche Lösung auch immer gewählt wird: Diese muss verlässlich abgestimmt und überregional bei allen Zuweisern bekannt sein. Auch innerhalb der Klinik sind hier die Strukturen nutzbar und einfach zu gestalten: Wenn sich ein rettungsdienstlicher Zuweiser – ob Leitstelle oder Einsatzkraft -, sich zunächst durch die Klinik durchtelefonieren muss, verzögert sich die Patientenbehandlung. Somit kommt der im Folgenden besprochenen Struktur einer Klinik besondere Bedeutung zu.
 
Klinikorganisation und -struktur: Die Kenntnis der Versorgungsstrukturen ist sowohl bei den Zuweisenden als auch bei klinischen Meldeköpfen von besonderer Bedeutung. Konkret sollte niemand davon ausgehen, dass z.B. eine pädiatrische Ambulanz kritisch kranke oder verletzte Kinder versorgen kann, wenn dies strukturell nicht so vorgesehen ist. Die Versorgungsmöglichkeiten müssen nicht nur gegenüber rettungsdienstlichen Zuweisern klar dargestellt sein. Eine zersplitterte Notfallversorgung erhöht das Risiko einer Fehlallokation. Hier wird deutlich, dass das Konzept „Ein Tresen“ eine relevante Sicherheitsleistung darstellt. Dieser Problematik trägt der G-BA-Beschluss zur gestuften Notfallversorgung mit seiner Forderung nach zentralen Notfallaufnahmen Rechnung. Der Strukturwandel ist hier allerdings noch nicht abgeschlossen.
 
Letztlich kann allerdings immer ein Irrläufer eines kritisch kranken Patienten vorkommen, der ad hoc und mit den Mitteln eines innerklinischen Notfallmanagements zu versorgen ist. Dazu sind Vorbereitungen zu treffen, die die Verpflichtungen zu einem ausreichenden Innerklinischen Notfallmanagement (QM-RL des G-BA) berühren.
 
Deshalb ist der im Innerklinischen Notfallmanagement maßgebliche Ausrüstungsaspekt in dieser Meldung besonders wichtig. Insbesondere die Ausrüstung zur Atemwegssicherung und das Monitoring waren unzureichend. Besonders bemerkenswert ist, dass eine Kapnometrie vom RTW zur Verfügung gestellt werden musste. Mangelnde Verfügbarkeit einer Kapnographie zur Atemwegssicherung ist forensisch als kritisch zu betrachten. Von Seiten der Melder wurde angemerkt, dass es örtlich keine einheitlichen Maßgaben für die Notfallausrüstung gab.
 
Die Melder selbst beschreiben die für die Patientensicherheit erforderlichen Rahmenbedingungen:
 
  • Einheitliche minimale Notfallausstattung
  • Ausreichendes medizintechnisches Monitoring auch für die Atemwegssicherung (Kapnographie)
 
Was ist hier konkret vorzusehen?
 
Da keine spezifischen Empfehlungs- und Regelwerke vorliegen, kann man Orientierung bei verwandten Empfehlungen suchen.
Die verfügbare mobile Medizintechnik sollte für alle Altersgruppen geeignet und vollständig sein (analog der DIN EN 1789 für Krankenkraftwagen): Monitoring mit 12-Kanal-EKG, NiBP, SpO2, Kapnographie), Defibrillation, Schrittmacher, Absaugeinrichtung und Sauerstoff. Ein Notfallbeatmungsgerät versteht sich immer mit Sauerstoffanschluss.
Wenn an einem Arbeitsplatz Notfälle häufiger (z. B. Ambulanzbereich) zu erwarten sind, ist der Standard für anästhesiologische oder intensivmedizinische Arbeitsplätze zu berücksichtigen. Für einen rein pädiatrisch-intensivmedizinischen Arbeitsplatz existieren keine expliziten Vorgaben. Dennoch ist an einen Arbeitsplatz, an dem Kinder versorgt werden sollen, besondere Anforderungen zu stellen. Im Einzelnen wären hier u.a. die Vorhaltung pädiatrischer Atemwege (supraglottische Atemwege, geeignete gecuffte Tuben), einer intraosseären Bohrmaschine und mucosaler Medikamentenapplikatoren oder Fertigmedikamente zu nennen, die auch Teil einer mobilen Notfallausrüstung eines Notfallteams sein sollten.
 
Letztlich allgemein umzusetzen ist die Qualitätsmanagement-Richtlinie des G-BA, die das im Sinne des Patienten Wünschenswerte beschreibt (§4, Abs. 2 QM-RL):
 
„Notfallmanagement
1Es wird eine dem Patienten- und Leistungsspektrum entsprechende Notfallausstattung und Notfallkompetenz, die durch regelmäßiges Notfalltraining aktualisiert wird, vorgehalten. 2Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind im Erkennen von und Handeln bei Notfallsituationen geschult.“


 

Take-Home-Message

  • Vereinbaren Sie ein im Sinne des Patienten sicheres Anmeldeprozedere in der Klinik und behalten Sie das Interesse des Patienten im Auge
  • Ziel ist: Ein Tresen – ein Meldekopf – eindeutige Darstellung der Versorgungsmöglichkeiten
  • Organisieren Sie die innerklinische Entscheidungsfindung und die Informationsübermittlung zuverlässig
  • Sorgen Sie für ein flächendeckendes innerklinisches Notfallmanagement, das Patienten aller Altersgruppen erfasst

Weiterführende Literatur:
Autoren:
Prof. Dr. med. T. Birkholz, Anästhesiologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen
Prof. Dr. med. A. Schleppers, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg
Dipl.-Sozialw. T. Rhaiem, Berufsverband Deutscher Anästhesisten, Nürnberg

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