Paper of the Month #60 Drucken
18.05.2016

Stiftung für Patientensicherheit, Schweiz: Paper of the Month #60 – Zwischenfälle im Spital - mit welcher Methode erfahren wir am meisten von Patienten?

O’Hara JK, Armitage G, Reynolds C et al.: How might health services capture patient-reported safety concerns in a hospital
setting? An exploratory pilot study of three mechanisms
BMJ Quality and Safety 2016; doi:10.1136/bmjqs-2015-004260

Thema: Zwischenfälle im Spital - mit welcher Methode erfahren wir am meisten von Patienten?

Patienten im Spital sind gute Beobachter und nehmen Zwischenfälle häufig aufmerksam wahr. Die Erfahrungen von Patientinnen und Patienten können eine wichtige zusätzliche Quelle sein, um das Vorkommen von Zwischenfällen zu erheben. Studien zeigen, dass die von Patienten berichteten Ereignisse mit anderen Verfahren, wie zum Beispiel CIRS oder Aktenstudium, häufig nicht dokumentiert werden. Es ist allerdings unklar, mit welchem Verfahren sich patientenseitig-berichtete Zwischenfälle am besten erfassen lassen. Dies können beispielsweise schriftliche Befragungen oder persönliche Interviews sein, die nach oder während des Spitalaufenthaltes durchgeführt werden. Die verschiedenen Ansätze haben Vor- und Nachteile. Schriftliche Befragungen geben beispielsweise oftmals Kategorien und Ereignisse vor. Damit erfassen sie möglicherweise nicht alle Arten von Ereignissen, die aus Patientensicht relevant sein können.
O’Hara et al. untersuchten in ihrer Arbeit, welcher Mechanismus am besten geeignet ist, um Patientenberichte über sicherheitsrelevante Ereignisse (PSE) möglichst umfassend zu erheben. An der Studie beteiligten sich neun Stationen verschiedener medizinischer Fachbereiche in einem Akutspital in England. Drei verschiedene Mechanismen wurden erprobt, um PSE während des Spitalaufenthaltes zu erheben: Das persönliche Interview der Patienten mit Forschungsassistenten, ein Formular und eine speziell installierte Telefon-Hotline auf Station. Die Stationen wurden einer der drei Methoden zufällig zugeteilt. Den Patienten wurde die jeweilige Methode vorgestellt und sie wurden gebeten, etwaige PSE über den auf ihrer Station implementierten Mechanismus zu melden. Die Patienten waren aufgefordert, Informationen dazu zu geben, wo der Zwischenfall passierte, was geschehen ist und wer daran beteiligt war. Alle Berichte wurden in einem zweistufigen Verfahren analysiert. Zunächst beurteilten jeweils zwei geschulte Pflegefachleute unabhängig voneinander, ob es sich gemäss der verwendeten Definition um einen Zwischenfall handelt («ein unerwünschtes oder unerwartetes Ereignis, welches eine Schädigung verursachte oder hätte verursachen können»). Bei positivem Screening wurden die Berichte durch Ärzte begutachtet. Diese bewerteten dann ebenfalls, ob ein Zwischenfall vorlag, und beurteilten dessen Schwere und Vermeidbarkeit.
Insgesamt willigten 178 Patienten in die Studie ein. Auch nach Adjustierung von anderen Einflussfaktoren (z.B. Länge des Aufenthaltes) unterschied sich die Anzahl der gemeldeten Ereignisse zwischen den Melde-Mechanismen signifikant: Mit dem Formblatt berichteten 41% der Patienten mindestens ein Ereignis. Mit der Telefon-Hotline waren es 19% und mit dem Interview waren es 64%. Durchschnittlich wurden von den Patienten mit dem Formblatt 0.92 Ereignisse, mit der Telefon-Hotline 0.43 Ereignisse und im Interview 1.9 Ereignisse berichtet. Durch die begutachtenden Ärzte wurden 20% (Formblatt), 19% (Telefon-Hotline) und 25% (Interview) aller Berichte als tatsächliches PSE bewertet. Über das Formblatt wurden von 33 der eingeschlossenen 80 Patienten 14 Zwischenfälle berichtet, über die Hotline von 7 der 38 Patienten 3 PSE und im persönlichen Interview von 38 der 58 Patienten 27 PSE. Die Mechanismen unterschieden sich nicht hinsichtlich der Vermeidbarkeit der berichteten PSE. Über die Melde-Mechanismen hinweg wurden etwa 80% der PSE als (wahrscheinlich) vermeidbar eingeschätzt.
Diese Untersuchung zeigt deutlich, dass das persönliche Interview «am Patientenbett» durch unabhängige Personen (z.B. Forschungsassistenten) die beste Methode ist, um möglichst viele Berichte von Ereignissen zu erhalten. Die Mechanismen unterscheiden sich nur unwesentlich im Anteil der als PSE beurteilten Ereignisse, so dass insgesamt mit dem Patienten-Interview pro eingeschlossenem Patienten am meisten PSE erfasst werden können. Das Spektrum der von Patienten berichteten PSE ist enorm und beinhaltete bauliche Gefahren, Materialprobleme, Hygienemängel, Medikationsfehler, Kommunikationsversagen. Patientenberichte beziehen sich häufig auf weniger dramatische Ereignisse, die aber möglicherweise als «Vorwarnung » sehr wichtig und hilfreich sein können, damit gewisse Problemfelder gar nicht eskalieren. Spitäler erhalten von Patienten also typischerweise Berichte von Gefahrensituationen, die zu Schäden führen können (beispielsweise ein rutschiger Teppich), und damit wichtige Informationen für eine prospektive Risikoanalyse. Die Erfassung und Auswertung von PSE ist eine wichtige ergänzende Informationsquelle für das klinische Risikomanagement. Die Studie gibt wichtige Hinweise, mit welcher Methode dies am besten umgesetzt wird.

Prof. Dr. D. Schwappach, MPH
Leiter Forschung und Entwicklung von Patientensicherheit Schweiz und Dozent am Institut für Sozial und Präventivmedizin (ISPM), Universität Bern

(Den Volltext können wir aus Copyright Gründen leider nicht mit versenden).

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