Paper of the Month #63 Drucken
08.11.2016

Stiftung für Patientensicherheit, Schweiz: Paper of the Month #63 – Ursachen ungeplanter Verlegung auf die IPS: "Patchwork" im Monitoring

van Galen LS, Struik PW, Driesen BEJM et al.: Delayed Recognition of Deterioration of Patients in General Wards Is
Mostly Caused by Human Related Monitoring Failures: A Root Cause Analysis of Unplanned ICU Admissions
PLoS ONE 2016; doi:10.1371/journal.pone.0161393

Thema: Ursachen ungeplanter Verlegung auf die IPS: "Patchwork" im Monitoring

Die ungeplante Verlegung von Patientinnen und Patienten von allgemeinen Bettenstationen auf die Intensivstation (IPS) ist ein ernstes unerwünschtes Ereignis. Als ungeplante Verlegung auf die IPS gilt, wenn die Verlegung nicht ohne Risiko für den Patienten um mindestens 12 Stunden hinausgezögert werden könnte. Dabei geht es um hospitalisierte Patienten, bei denen es zu einer Verschlechterung des Zustandes kommt, die nicht frühzeitig erkannt wurde. Die ungeplante Verlegung auf die IPS ist mit einer hohen Mortalität verbunden. Ein wesentliches Ziel ist es daher, Patienten, deren Allgemeinzustand sich während des Spitalaufenthalts verschlechtert, so früh wie möglich zu detektieren und durch eine frühzeitig eingeleitete Therapie, Notverlegungen auf die IPS zu vermeiden. Die Ursachen, die einer verspäteten Erkennung und der folgenden ungeplanten Verlegung auf die IPS zugrunde liegen, sind jedoch noch nicht intensiv erforscht.
Van Galen et al. führten in ihrer retrospektiven Studie eine systematische Ursachenanalyse von 49 ungeplanten Verlegungen von Patienten allgemeiner Bettenstationen der Universitätsklinik Amsterdam auf die IPS durch. Sie verwendeten dafür das PRISMA-Protokoll, ein validiertes Instrument zur Ereignisanalyse. Alle Patientendaten sowie die medizinische und pflegerische Dokumentation wurden einbezogen und ausgewertet. Für jeden einzelnen Fall wurde durch ein Expertenteam ein komplexer Ursachenbaum erstellt. Die identifizierten direkten und indirekten Ursachen und begünstigenden Faktoren wurden kategorisiert.
Die betroffenen Patienten waren im Median 69 Jahre alt und zu etwa gleichen Anteilen Männer und Frauen. Zwischen der Spitalaufnahme und der ungeplanten Verlegung auf die IPS lagen im Median 88 Stunden (= 3.6 Tage). Ein erheblicher Teil der Verlegungen fand nachts, zwischen 18.00 Uhr und 6.00 Uhr morgens, statt (53%). 19 der Patienten waren während des Spitalaufenthaltes verstorben (39%). Insgesamt wurden für die 49 Fälle 155 Ursachen für die ungeplante Verlegung identifiziert. Bei 61% der Fälle wurde zwischen 1-3 Ursachen festgestellt, bei 39% mehr als 3 Ursachen.
Etwa die Hälfte aller identifizierten Ursachen waren krankheitsbezogen (45%), die ausserhalb der Kontrolle der Patienten und der Fachpersonen liegen (z.B. fortschreitender Tumor, Sepsis bei neutropenischen Patienten). Ebenfalls fast die Hälfte aller Ursachen waren mitarbeiterbezogen (46%). Nur wenige Ursachen waren direkt dem Patienten (5%) zuzuordnen, z.B. die Ablehnung von Überwachungsmassnahmen. Um organisationale Hauptursachen handelte es sich in 3% der Fälle (z.B. keine Verfügbarkeit von IPSBetten). Innerhalb der mitarbeiterbezogenen Hauptursachen waren das unzureichende Monitoring (34%) und die unzureichende Intervention (27%) die zentralen Ursachen. Für 42 der ausgewerteten Fälle (86%) hatten die behandelnden Ärzte angeordnet, dass die Vitalparameter monitorisiert werden müssen. Dies wurde jedoch nur bei knapp der Hälfte der Fälle auch so durchgeführt (41%). In den 48 Stunden vor der ungeplanten Verlegung auf die IPS wurden insgesamt 477 Vitalparameter-Sets bei den Patienten erhoben. Von diesen Sets führten 36% dazu, dass der Arzt gerufen wurde. Nur in 6 Sets wurde der vorgesehene Frühwarn-Score korrekt berechnet, obwohl alle notwendigen Werte dafür vorlagen. Im Rahmen der Analyse berechneten die Autoren den Frühwarn-Score basierend auf den dokumentierten Vitalparametern neu. Sie stellten fest, dass die Hälfte der dokumentierten Sets einen kritischen Frühwarn-Score ergab. Dies betraf 46 der 49 Patienten (94%). Das heisst, wäre für diese Patienten mit den vorliegenden Vitalparametern der Frühwarn-Score berechnet worden, hätte dies für die überwiegende Mehrzahl ein kritisches Signal ergeben. Gemäss dem vorgesehenen Protokoll wäre damit ein klares Reaktionsschema ausgelöst worden, welches die sofortige Information des Dienstarztes beinhaltet. Tatsächlich wurde – ohne Berechnung des Scores – aber nur in 36% der Fälle der Arzt informiert.
Die Studie zeigt anhand einer umfangreichen Aufarbeitung die vielfältigen Gründe von ungeplanten Verlegungen auf die IPS. In vielen Fällen spielen das fehlende Monitoring und die unzureichende Handlung bei erfolgtem korrektem Monitoring eine wesentliche Rolle. Diese Ergebnisse bieten wichtige Ansatzpunkte für Verbesserungsmassnahmen. Insbesondere zeigte sich, dass kurz vor der IPS-Verlegung für viele Patienten die Vitalparameter durchaus vorliegen, diese aber nicht systematisch bewertet werden. Die konsequente Verwendung eines Frühwarn-Scores kann hier sinnvoll sein, um scheinbar stabile Patienten konsequent zu beurteilen, rechtzeitig zu handeln und eine Verschlechterung abzuwenden. Die gute Implementierung eines Frühwarn-Scores mit klaren Vorgaben für die Reaktionen ist hierfür wesentlich.

Prof. Dr. D. Schwappach, MPH
Leiter Forschung und Entwicklung von Patientensicherheit Schweiz und Dozent am Institut für Sozial und Präventivmedizin (ISPM), Universität Bern

(Den Volltext können wir aus Copyright Gründen leider nicht mit versenden).

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