Krankenhaus-CIRS-Netz Deutschland: Fall des Monats „Mai 2025": „Erythrozytenkonzentrat mit Infusionsbesteck anstatt Transfusionsbesteck versehen“
Fachkommentar des Fachbeirats CIRSmedical.de (BDA/DGAI)
Download Fachkommentar Fall-Nr. 275520 (PDF)
Autor: Interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft für klinische Hämotherapie (IAKH) in Vertretung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten (BDA) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin (DGAI)
Problemanalyse
Ein Arzt, der offensichtlich neu in der Einrichtung arbeitet, außer der Sprachbarriere (Kommunikationserschwernisse) auch mit neuen Gerätschaften, neuen Umgangsbedingungen und Prozessen, vermutlich noch schwierigen Bedingungen im außerberuflichen Umfeld zu tun hat, kann oftmals hinsichtlich der Arbeitssicherheit nicht den anderen Mitarbeitern gleichgestellt werden. Jeder Mensch hat eine begrenzte Aufmerksamkeit und Aufnahmefähigkeit. Die stattgefundene Einweisung am Vortag ist wohl lobenswerter Weise durchgeführt worden, konnte aber in diesem Falle nicht die gewünschten Ziele erreichen. Eine selbständige Tätigkeit, die der berufserfahrene Arzt gewohnt ist, ist in einer solchen Situation nicht ohne Begleitung möglich, wie uns dieser Fall lehrt. Diesbezüglich sollte also der formalen Einweisung eine Arbeitsbegleitung bis zum Erreichen unserer Sicherheitsstandards folgen.
Vermutlich ist die Verabreichung einer Bluttransfusion in dieser Einrichtung ein Routinevorgang, der keine besonderen Vorkehrungen und Informationsmaßnahmen bei den Beteiligten erfordert. Die Information des Pflegepersonals über die Transfusion in dieser Konstellation könnte eine zusätzliche Sicherheitsmaßnahme darstellen. In Einrichtungen, in denen die Transfusion keine häufig angewandte Maßnahme ist, sollten die Besonderheiten und Risiken der Bluttransfusion geschult und über die tatsächliche Durchführung Informationen an alle im Bereich tätigen Mitarbeiter ergehen.
Im Bericht nur am Rande anklingend, aber in solchen Situationen oftmals zu berücksichtigen sind neben den unterschiedlichen Arbeitsbedingungen im Herkunftsland auch kulturelle Besonderheiten im Umgang. Die fachliche Anleitung durch (insbesondere weibliches) Pflegepersonal ist für (männliche) Ärzte aus anderen Kulturkreisen oftmals anfänglich schlecht anzunehmen. Diese Widerstände sind nur langsam durch eine sichere Kommunikation abzubauen, sollten aber offen angesprochen werden, damit die Prozesse für den Patienten und die Mitarbeiter selbst sicher und unabhängig von solchen überwindbaren Vorbehalten ablaufen können.
Die Verabreichung eines Erythrozytenkonzentrats (EK) durch einen im Transfusionsbesteck enthaltenen 200 μm Filter hat den Sinn, eventuell während der Lagerung entstandene Zellkonglomerate oder Thromben zurückzuhalten, die sonst thrombembolische Komplikationen beim Empfänger hervorrufen könnten. Die Verwendung ist eigentlich innerhalb der EU üblich, weshalb der Vorfall vermutlich schon der überlasteten Aufmerksamkeit des Arztes zuzuschreiben ist. Hierzulande ist die Verabreichung und Vorbereitung der Konserve Bestandteil der Verfahrensanweisung von der BÄK [1] oder der IAKH [2]. Die Vorbereitung der Blutkonserve kann und sollte in diesem Fall auch von der fachlich kundigen Assistenz (Pflegekraft/MFA) durchgeführt werden.
Die Unkenntnis der Beutelbeschaffenheit bedingte die Positionierung des EK in eine Flaschenhalterung. Nur wenn ein EK frei hängt, (Sinn der Hängevorrichtung), kann der gesamte Inhalt, die volle Dosis ohne Korrektur durch Schwerkraft verabreicht werden. Insofern kann man das zwar auch anders aufhängen, wenn aber Infusionsständer in dieser Einrichtung (Transfusionsmedizinische/Hämatoonkologische Praxisklinik?) vorhanden waren, hätte der Arzt das auch besser an die dafür vorhandenen Haken hängen können.
Beachtenswert ist auch, dass die erfahrene Patientin, die schon häufiger durch diesen Behandlungsprozess musste, den Fehler bemerkt, aber nicht angesprochen hat. Auch wenn es nicht immer angenehm für die Behandler ist, sollten Patienten aufgefordert werden, den Behandlungsprozess in seinen kritischen Schritten zu verstehen und erklärt zu bekommen.
Prozessqualität
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SOP/Verfahrensanweisung – alle Ärzte: Verabreichung einer Bluttransfusion
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SOP/Verfahrensanweisung – für das medizinische Assistenzpersonal: Vorbereitung einer Blutkonserve für die zeitnahe Transfusion durch den Arzt
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Fortbildung durch den neuen Mitarbeiter für alle Mitarbeiter der Einrichtung: Hämotherapie und Besonderheiten der Transfusion im Herkunftsland, Standards, Gepflogenheit, Patientensicherheit, Indikationen, Fehler und Outcome
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SOP/Verfahrensanweisung – alle Mitarbeiter: Ausweisung einer Bluttransfusion als „besondere Therapie”, Information aller Mitarbeiter
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M&M Konferenz zum Fall ohne Verurteilung des neuen Mitarbeiters, systematische Suche nach Vermeidungsmöglichkeiten
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Meldung an die Transfusionskommission
Strukturqualität
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Chefarzt, ÄD, Praxis/Klinikleiter, TV: Erarbeitung und Umsetzung eines Curriculums bzw. Begleitungsprogramms für neue Ärzt/innen (nicht nur aus anderen Herkunftsländern)
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ÄD, Praxis/Klinikleiter: Konflikt/Kommunikationstraining und Integrationstraining als Training aller Mitarbeiter
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GF, ÄD, TV: Ausgabe eines Informationsblattes für Patienten vor Aufnahme, mit der Information, dass der Behandlungsprozess durch den Patienten verständlich erklärt und in den kritischen Schritten wie die Verabreichung einer Chemotherapie oder Bluttransfusion auch hinterfragt werden soll.
Literatur
Häufig verwendete Abkürzungen:
ÄD – Ärztliche/r Direktor/in, CA – Chefarzt/-ärztin, EK – Erythrozytenkonzentrat, GF – Geschäftsführer/in, M&M – Konferenz zu Morbidität und Mortalität, SOP – Standard Operating Procedure, TV – Transfusionsverantwortliche/r, VA – Verfahrensanweisung |