KH-CIRS-Netz Deutschland: Fall Nr. 266972: „Fehlanforderung von Konserven“
Fachkommentar des Fachbeirats CIRSmedical.de (BDA/DGAI)
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Autor: Interdisziplinäre Arbeitsgemeinschaft für klinische Hämotherapie (IAKH) in Vertretung des Berufsverbandes Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten (BDA) und der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie & Intensivmedizin (DGAI)
Problemanalyse
Die telefonische Kommunikation der Laborbefunde bei pathologischen Befunden ist ein guter und lobenswerter Service des Labors für die klinisch tätigen Therapeuten. Sie entbindet den Therapeuten nicht von der Sorgfaltspflicht, die Indikationsstellung anhand der dokumentierten Laborwerte zu verifizieren, diese eventuell bei fehlender Plausibilität nochmalig zu überprüfen und letztendlich in der Akte zu dokumentieren. Der nützliche Service der Vorabinformation stellt nach unserer Beurteilung nicht die Fehlerursache dar und ist keinesfalls als 'problematisch‘ zu sehen.
Problematisch ist vielmehr der Aspekt, dass das Labor bei der vermuteten Konstellation nicht die Indikation angefragt hat.
Die Meldung enthält die Beschreibung eines Ereignisses, das die Identifikation eines einzelnen Fehlers aus den Details nur wie folgt vermuten lässt.
Wir vermuten, dass
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die telefonische Kommunikation der pathologisch erhöhten Leukozytenwerte eines Patienten dazu führte, dass ein Blutprodukt angefordert wurde, das nicht zur Korrektur der Laborwerte beitragen würde.
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das ungeeignete Blutprodukt für einen anderen Patienten angefordert wurde (auf den sich die telefonische Mitteilung der Laborwerte nicht bezog).
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die Konservenanzahl '2' kritisch in den Bereich des veralteten Brauchs der Doppelverabreichung von Blutkonserven zu verorten ist. Bei Thrombozytenkonzentraten erfolgt die korrekte und restriktive Dosierung anhand der Blutungssymptome und der weiteren differenzierten Indikationsstellung, der in den Querschnittsleitlinien Hämotherapie [1] ein langes und ausführliches Kapitel gewidmet ist.
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aus der Meldung angenommen werden muss, dass der Empfänger der Thrombozytenkonzentrate überhaupt keine pathologischen Thrombozytenwerte hatte (und auch keine pathologisch erhöhten Leukozytenwerte), und somit das Ereignis als unnötige Transfusion und gleichzeitig als Fehltransfusion kategorisiert werden muss (siehe Definition Übertransfusion [2, 3]).
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ob die (unnötige) Transfusion erfolgt ist oder nicht, geht nicht aus der Meldung hervor. Es scheint kein akuter Schaden bei dem Empfänger aufgetreten zu sein. Da sich jedoch Thrombosen, transfusionsassoziierte Infektionen und Antikörperbildungen erst nach einer Latenz herausstellen, kann das auch noch nach der Meldung erfolgen und deshalb nicht sicher gesagt werden.
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Eine Anforderung und Ausgabe von Thrombozytenkonzentraten bei normalen Laborwerten sollte zumindest eine Rückfrage der/s Blutbank/Blutdepots bei analogem Prozess oder ein ALERT der Anforderungssoftware bei digitalem Prozess verursachen. Selbst bei traditioneller Anforderung sollte die Indikationsstellung der Transfusion angegeben sein (gemäß Richtlinie Hämotherapie Kap. 4.8 [4]), die in diesem Fall den Fehler aufgedeckt hätte (oder hat).
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die in der Richtlinie Hämotherapie Kap. 4.9 [4] vorgeschriebene Identitätssicherung des Empfängers vor der Verabreichung die Patientenverwechslung (Empfänger war ein anderer als der Patient mit den pathologischen Laborwerten) hätte aufdecken können.
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Die Anforderung erfolgte in diesem Fall telefonisch spontan als Reaktion auf die Mitteilung pathologischer Werte. Die Zusammenhangslosigkeit der mitgeteilten Werte und der veranlassten Therapie provozierte keine Rückfrage oder erzielte eine Korrektur der Anforderung (von Thrombozytenkonzentraten als Reaktion auf pathologische Leukozytenzahlen). Bei einer schriftlichen Durchführung der Anforderung (analog oder auch elektronisch) wäre eine Begründung für die Dosis und Indikationsstellung zu dokumentieren, bei einer elektronischen Version mit Verbindung zur Laborsoftware LIS oder/ und Leitlinie wären sogar Rückfragen programmierbar. Beides hätte zur Korrektur beitragen können. Am einfachsten aber ist die Maßnahme von Seiten des Blutdepots, keine telefonischen Anforderungen mehr zu akzeptieren.
Letztendlich ist unklar, was in diesem Fall zum Fehler beigetragen hat. Die telefonische Kommunikation allerdings ist oft problematisch, da Sachprobleme, Missverständnisse, Ablenkungen der Kommunizierenden, akustische Störungen etc. in
einem hohen Prozentsatz auftreten und der Telefonatinhalt nicht dokumentiert wird. Sie alleinig als Begründung für eine gravierende therapeutische Entscheidung wie die zur Transfusion zu akzeptieren, ist schon wegen der fehlenden Nachweismöglichkeit nicht zu empfehlen.
Prozessqualität
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Regelfortbildung Transfusionsmedizin – alle Mitarbeiter: Indikationsstellung von Blutpräparationen gemäß Querschnittsleitlinien der Bundesärztekammer
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SOP – Labor: Verbindliche Regelung der Ausgabeformalitäten
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SOP – Ärzte: Erforderliche Schritte bei Indikationsstellung, Verabreichung und Dokumentation von Bluttransfusionen
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Fortbildung – alle Mitarbeiter: Gefahren der Übertransfusion
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M&M zum Fall
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Meldung an die Transfusionskommission
Strukturqualität
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ÄD, TV, Laborleitung, IT, QM: Einführung der elektronischen Anforderung von Blutprodukten, Vernetzung Anforderungssoftware mit KIS und LIS
Literatur
Häufig verwendete Abkürzungen:
ÄD - Ärztliche/r Direktor/in, EK – Erythrozytenkonzentrat, IT - Informationstechnik/er, KIS – Krankenhausinformationssystem, LIS – Laborinformationssystem, M&M - Konferenz zu Morbidität und Mortalität, QM – Qualitätsmanagement, SOP - Standard Operating Procedure, TV - Transfusionsverantwortliche/r
Risiko-Abschätzung:
Mögliche Konsequenzen bei einem erneuten Auftreten des Ereignisses: Schwer
Wahrscheinlichkeit eines erneuten Auftretens des Ereignisses: Wahrscheinlich |